: Parteiidentität in Therapie?
Flügelstreit bei Hamburgs Grünen um Spitzenkandidatur ■ Von Sven-Michael Veit
Ihre Rückkehr nach Hamburg hatte Krista Sager sich anders vorgestellt. Mit offenen Armen, so hatte nicht nur sie gedacht, würde die Grün-Alternative Liste (GAL) sie in der Heimat empfangen, auf daß sie den Weg ebne auf die rot- grüne Regierungsbank in der Hansestadt. Im Herbst hatte die 43jährige den Bonner Posten der grünen Bundessprecherin aufgegeben, um an der Elbe GAL-Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl im September zu werden.
Der linke Flügel der Hamburger Grünen versagt ihr jedoch die Ehrerbietung: Zwar wurde Sager zusammen mit der Parteilinken Antje Radcke zur Landesvorstandssprecherin gewählt, aber damit endeten die Freundlichkeiten. Auf der heutigen Mitgliederversammlung muß sie sich in einer Kampfabstimmung der Kandidatin des linken Flügels stellen. Die 59jährige Vizechefin der Bürgerschaftsfraktion, Anna Bruns, wurde vor drei Wochen als Sager-Kontrahentin nominiert.
Der Ausgang der Wahl ist offen. Denn weder Realos noch Linke haben eine sichere Mehrheit; das Zünglein an der Waage wird der flügelunabhängige Mittelblock bilden. „Das wird eine Stimmungs- Veranstaltung“, erwartet Bruns. „Die GAL ist unberechenbar“, seufzt Sager, die Gerüchte weder bestätigen noch dementieren will, daß sie bei einer Niederlage „die Brocken hinschmeißt“. Ihre Co- Parteichefin Antje Radcke tritt derweil Gerüchten entgegen, die Gegenkandidatur sei doch nur „Therapie fürs linke Gemüt“, im Grunde aber wollten alle „die Krista“ als wählerwirksame GALionsfigur. Es könne nicht darum gehen, im September „den Wahlerfolg zu maximieren“, stellt sie klar, die „Identität der Partei“ dürfe keinen Schaden nehmen.
Auch die als begütert geltende Soziologin Anna Bruns sieht das so. Für „ein paar Stimmen mehr oder weniger“ dürfe man „sich nicht verstecken“, ein „klares grünes Profil“ sei wichtiger als „politische Marketingstrategien“. Die Diskussion darüber, ob die renommierte Sager oder die „linke Millionärin“ (Hamburger Morgenpost) Bruns beim Wahlvolk besser ankomme, spaltet seitdem die Stammtische in Hamburgs Szenekneipen. 1993 fuhr die GAL das bisher von keiner grünen Landespartei erreichte Ergebnis von 13,5 Prozent ein; Prognosen der vergangenen Monate sagen einer GAL mit Krista Sager als Nummer eins deutliche Zuwächse voraus.
Die Entscheidung zwischen Sager und Bruns sei „eine Entscheidung zwischen 19 und neun Prozent“, urteilt ein Wahlforscher über den Streit der grünen Spitzenfrauen, der in dieser Woche in Appellen an die Basis gipfelte, die einen gewissen Pamphletcharakter nicht leugnen können. Zunächst blies der Realoflügel um Sager-Intimus und Fraktionschef Willfried Maier zur Mobilmachung. In einem Aufruf heißt es: „Die Lage ist ernst.“
Wer „demokratische Normalitäten als Provokation“ empfinde, kofferten die Linken umgehend zurück, dürfe sich nicht wundern, daß „wir bei der Listenaufstellung um unseren Anteil kämpfen werden“. Inzwischen üben sich die Kontrahenten in Beschwichtigungsritualen, auf daß wieder zusammenwachse, was noch immer zusammengehöre.
Trotzdem fordert Krista Sager: „Wir brauchen ein Ergebnis, das deutlich über dem Durst liegt“, um eine große oder eine sozialliberale Koalition in der Hansestadt zu verhindern. Dafür müßten „Wählerprozente bis in die bürgerliche Mitte hinein optimiert“ werden. Daß das nur mit ihr zu erreichen sei, sagt sie nicht; daß sie das denkt, ist ein offenes Geheimnis.
Rot-Grün in Hamburg sei kein Schreckgespenst für die Linken, beteuern denn auch ihre Gegenspielerin Bruns und Parteisprecherin Radcke unisono. Allerdings sei es fraglich, ob „grüne Politik“ gegen die SPD des technokratischen Bürgermeisters Henning Voscherau durchzusetzen sei. Auf keinen Fall aber, darin sind sich alle GALier einig, dürfe die Partei auf der Strecke bleiben – man braucht sich schließlich noch für den gemeinsamen Wahlkampf.
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