: Parteien melden Kandidatur an
■ Zu den Bezirkswahlen im Mai wollen zwanzig Parteien und zehn Wählergemeinschaften antreten/ Grüne machen auf Lücke in Berliner Verfassung und Bezirksverwaltungsgesetz aufmerksam
Berlin. Zwanzig Parteien und zehn Wählergemeinschaften haben fristgerecht bei den Wahlämtern der 23 Berliner Bezirke ihre Wahlvorschläge und die weiteren erforderlichen Unterlagen für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen am 24. Mai eingereicht. CDU, SPD, FDP und die »Republikaner« haben in allen Bezirken Wahlvorschläge eingereicht. Die PDS tritt in zwei Bezirken nicht an: in Tempelhof und in Tiergarten. Die Partei Grüne/AL stellt sich in allen westlichen Bezirken und in Hellersdorf zur Wahl. Das Bündnis 90 kandidiert in acht östlichen Bezirken; in den restlichen drei — Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain — kandidieren Wählergemeinschaften, die den Begriff »Bündnis« als Namensbestandteil haben.
Die Freie Wählergemeinschaft Die Nationalen tritt in neun Bezirken an, die Ökologisch-Demokratische Partei und Die Grauen — initiiert vom Senioren-Schutzbund Graue Panther e.V. — in acht. Die DSU stellte in vier Bezirken Kandidaten auf. In jeweils zwei Bezirken präsentieren die DKP und Die Bürger den Wählern ihre Bewerber. Die WUB beteiligt sich auch bei dieser Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung wieder in Zehlendorf. Zwölf weitere Parteien und Wählergemeinschaften treten lediglich in einem Bezirk zu den Wahlen an.
In den nächsten Wochen entscheiden die 23 Bezirkswahlausschüsse nach Prüfung der eingereichten Unterlagen darüber, wer sich am 24. Mai 1992 an den Wahlen beteiligen kann. Dies ist vor allem für die Organisationen von Bedeutung, die Unterstützungsunterschriften vorweisen mußten, weil sie weder im Abgeordnetenhaus vertreten sind noch in der BVV, an deren Wahl sie teilnehmen möchten. Der Landeswahlausschuß wird dann am 10. April festlegen, in welcher Reihenfolge die Parteien und Wählergemeinschaften auf dem Stimmzettel erscheinen werden.
Das Wahlverfahren ist klar festgelegt, aber nach der Auszählung und Feststellung, wie sich die 45 BVV-Mandate in jedem Bezirk — in den Ostbezirken waren es bisher, je nach Bevölkerung, sehr viel mehr — auf die Parteien und Wählergemeinschaften verteilen, könnte es noch zu Streitigkeiten kommen. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne hat auf eine Lücke in der Berliner Verfassung und im Bezirksverwaltungsgesetz aufmerksam gemacht, wo die Wahl der Bezirksstadträte geregelt ist.
Im Landeswahlgesetz (LWG) ist festgelegt, daß die Mitglieder der BVV »nach dem Verfahren der mathematischen Proportion« (Hare- Niemeyer) von den Wahlberechtigten des Bezirks gewählt werden. Das nach einem englischen und einem deutschen Wahlexperten benannte Zählverfahren gilt als das System, das am genauesten die Stärkeverhältnisse der beteiligten Parteien (einschließlich Wählergemeinschaften) widerspiegelt. Die Gesamtzahl der Sitze wird mit der Stimmenzahl der einzelnen Parteien multipliziert und das Ergebnis durch die Gesamtzahl der Stimmen aller Parteien dividiert. Jede Partei erhält zunächst so viele Sitze, wie sich ganze Zahlen aus dieser Proportion ergeben, die verbleibenden Reste werden nach der Reihenfolge der Zahlenbruchteile (Zahlen nach dem Komma) zugeteilt, bei gleichen Bruchteilen verlost.
Bei früheren Westberliner Wahlen galt das nach dem belgischen Mathematiker d'Hondt benannte Höchstzahlverfahren. Dabei wird die für jede Partei abgegebene Stimmenzahl durch 1, 2, 3, 4 und so weiter geteilt, bis genügend viele sogenannte Höchstzahlen ermittelt sind. Aus der Gegenüberstellung der Höchstzahlen aller Parteien werden dann entsprechend der Mandatszahl — in diesem Fall 45 — Höchstzahlen herausgesucht und nach der Größe geordnet. Das erste Mandat entfällt auf die größte Höchstzahl, das zweite auf die zweitgrößte und so weiter. Dabei entspricht in der ersten Teilungsebene (durch 1) die Reihenfolge der Höchstzahlen noch genau dem Stärkeverhältnis der Parteien, bei weiteren Teilungen wirkt sich der Stimmenunterschied zwischen den einzelnen Parteien immer stärker darin aus, daß die größte Partei mehr Höchstzahlen in der Reihenfolge erhält als die zweitgrößte und so weiter. Die großen Parteien werden also objektiv, rein mathematisch, beim d'Hondt-Verfahren begünstigt.
Für die Wahl der Bezirksstadträte (pro Bezirk 7 einschließlich des Bezirksbürgermeisters) durch die BVV ist das anzuwendende Zählverfahren noch nicht festgelegt. Wird, wie früher im Westteil, nach d'Hondt gewählt, könnte dies im Einzelfall dazu führen, daß die jeweils größte Partei einen Stadtratsposten mehr erhält, als ihr nach der »mathematischen Proportion« (Hare-Niemeyer) zustehen würde, und die dritt- oder viertstärkste Partei dafür leer ausgeht. adn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen