Parteien jenseits der fünf Prozent: David gegen Goliath
Die Sonstigen treten am Sonntag bei der Landtagswahl in Hessen gegen die großen Parteien an. Dabei bieten sie neben Verschwörungstheorien auch erstaunliche Alternativen.
Wer: 2004 holte die Bürgerrechtsbewegung Solidarität, kurz BüSo, bei der Europawahl die wenigsten Wählerstimmen aller Parteien. Bei der Wahl am Sonntag tritt sie nun auf Landesebene an. Die Vorsitzende der BüSo mit dem klingenden Namen Helga Zepp-LaRouche sieht die Finanzsysteme der USA und der Bundesrepublik sowie die Anschläge vom 11. September 2001 unter dem Einfluss einer zionistischen Weltverschwörung stehend und schreibt dazu fleißig Bücher.
Was: Die Partei ist fest davon überzeugt, dass Deutschland in naher Zukunft seinen Titel einer Industrienation abgeben und verarmen wird. Deshalb sollte jedem Wähler klar sein: "Hessens Zukunft liegt in Afrika." Denn nur "wenn man begreife, wie sehr das künftige Schicksal unserer eigenen Volkswirtschaft mit dem von Afrika verflochten ist", werde man einen Ausweg aus der aktuellen Krise finden, orakelt Alexander Hartmann, der Spitzenkandidat der BüSo. Er fordert den Wiederaufbau der Realwirtschaft, um die "Afrikanisierung Deutschlands" aufzuhalten. Ach so, die Lösung für die angeschlagene Autoindustrie hat der findige Spitzenkandidat natürlich auch schon parat: Die Magnetschwebebahn Transrapid wird reanimiert. So können die Hessen nicht nur unabhängig von Öl und Gas in Urlaub fahren, es werden auch die Arbeitsplätze gesichert. Das da noch niemand anderes drauf gekommen ist!
Die SPD holt auf: Laut der neuesten Forsa-Umfrage für die Frankfurter Rundschau hätten 32 Prozent der Wähler Thorsten-Schäfer-Gümbel gern an der Landesspitze, das sind 8 Prozent mehr als noch vor vier Wochen. Indes verlor CDU-Kandidat Roland Koch Stimmen. Statt 44 würden ihn nun nur noch 39 Prozent wählen. 15 Prozent gaben an, sich am Sonntag für die FDP zu entscheiden, für die Grünen waren es 13 Prozent. Die Linke droht mit 4 Prozent der Stimmen gar nicht erst ins Parlament zu gelangen.
Für wen: Für alle Verschwörungstheoretiker, die immer noch glauben, alles Übel dieser Welt käme von einer jüdischen Weltkonspiration. Könnte der Linkspartei (und den Rechten?) vielleicht einige Prozente wegnehmen.
Wer: Interviewanfragen werden nur gegen eine Zahlung von 10.000 Euro erfüllt und auch nur, wenn der Fragende Chefredakteur mit einem Mindestgehalt von 2.000 Euro netto ist. Keine schlechte Idee für jemanden, der sich um ein öffentliches Amt bewirbt. "Ton-, Foto- oder Filmaufnahmen erhöhen das Honorar auch schnell mal um 5.000 Euro", sagt der unabhängige Kandidat Pasquale Aita. Klingt nach einem höchst wichtigen Interviewpartner, der eine Menge interessanter und exklusiver Dinge zu erzählen hat. Falsch. Es ist nur Pasquale Aita.
Was: Aitas Liebes- und Menschlichkeitsverwirklichungskooperative (MEKO) ist so ziemlich gegen alles Doofe dieser Welt: Krieg, Parteienpsychoterror und die etablierten Parteien an sich sind "Affen Satans". Auf seiner Homepage, die den Besucher in die Unterwelt des Webdesign führt, präsentiert der langlockige Beau wortgewaltig seine Überzeugungen: "In einem Deutschland für alle liegt die Macht in den Händen der Menschen, die jeweils über sich selbst herrschen."
Für wen: Für alle geldgeilen Selbstdarsteller, die die extrem verbilligte bis ganz kostenlose Bereitstellung von Telekommunikation, Internet, Wasser, Energie und öffentlichen Verkehrsmitteln wünschen. Auch notorische Kiffer und Junkies sollten sich angesprochen fühlen: Der Anbau von und Handel mit Cannabis, Opium und Kokain wird nicht nur legalisiert, sondern direkt verstaatlicht.
APPD
Wer: Der Klassiker unter den Splitterparteien. Die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands wurde 1981 von zwei 17-jährigen Punks gegründet und sieht sich allen gescheiterten Existenzen verpflichtet. Der erste Bewerber, Mirco Rosenberger, ist Sozialhilfeempfänger und ausgewiesener "Wirtschafts"-Experte, sein Stellvertreter ist Tätowierer. Mangelnde Authentizität oder fehlende Volksnähe kann man der Partei also schon mal nicht vorwerfen.
Was: Oberstes Ziel ist die "ultimative Rückverdummung Deutschlands". Dazu muss nichts weiter getan werden, als Deutschland in drei Zonen zu teilen: in der "sicheren Beschäftigungszone" werden alle arbeitswütigen Ordnungsfanatiker untergebracht, in die "Gewalterlebnisparks" werden Nazis und andere Gewalttäter umgesiedelt. Schließlich gibt es noch die "asoziale Parasitenzone", in der APPD-Mitglieder und andere Hedonisten jeglichen Amüsements frönen. Dazu ist unter anderem eine flächendeckende Versorgung mit Trinkhallen, Videotheken und Sexshops vorgesehen. In Hessen tritt die APPD für ein Bündnis mit Roland "RoKo" Kochs CDU ein, da sich mit ihr am ehesten das Ziel des massiven Abbaus von Arbeitsplätzen realisieren ließe.
Für wen: Für alle, die Arbeit "nicht so toll" finden und gerne mal einen über den Durst trinken. Könnte aber auch für Nazis und Manager interessant sein, weil sie in ihrer Zone unter ihresgleichen glücklicher wären. Nimmt niemandem Stimmen weg, da die Partei vor allem Nichtwähler motivieren will.
WIR
Wer: Bei der Bürgerbewegung WIR spricht der kleine Mann. Der Vorsitzende Peter Klis ist Mobbingopfer und selbst gekürter Bundestagskandidat, Rächer aller von GEZ-Vertretern gegängelten Menschen und Anwalt derer, die sich schon länger denken: Jetzt reichts! Seit er seine Firma durch Behördenwillkür verloren hat, verschrieb er sich dem Kampf gegen Abzocke bei Benzin-, Gas- und Lebensmittelpreisen.
Was: Mit analytischer Schärfe benennt Peter Klis die Probleme: 30 Jahre Fehlentscheidungen, Amtsmissbrauch und vor allem Bürgermobbing durch die Behörden. Keine kleinen Vorwürfe, die der schneidige Mittfünfziger, ein ehemaliger überzeugter Nichtwähler, erhebt. Die Lösung: Der Austausch aller korrupten und unfähigen Staatsdiener, Politiker und Manager innerhalb von ein bis acht Jahren wird die angeschlagene "MS Deutschland" wieder auf Kurs bringen.
Für wen: Ganz klar: für die kleinen Leute. WIR richtet sich an alle, die nicht wissen, was sie sonst wählen sollen. Könnte aufgrund des extrem hohen Frustpotenzials der Linkspartei wichtige Stimmen wegnehmen.
Wolf Ruppert
Wer: Wolf Ruppert wäre froh, wenn er von allen Mitbewerbern die Hälfte der Stimmen bekäme - ganz egal, aus welcher politischen Richtung -, schätzt seine Chancen aber realistisch als minimal ein. Der 64-jährige Verkehrswissenschaftler ist Direktkandidat im Frankfurter Süden und wirbt mit einer historischen Chance für Nichtwähler, denn in Hessen konnte seit 1949 kein parteiloser Kandidat ein Landtagsmandat gewinnen. Wenn er in den Landtag käme, würde er alle Bürgermeister der Region zusammensperren, bis diese sich auf eine zufriedenstellende Lärmschutzlösung geeinigt haben.
Was: Der Mitarbeiter des Anti-Lärm-Pakts fordert, die Anzahl der Landungen auf der neuen Landebahn des Frankfurter Flughafens auf maximal 100.000 pro Jahr zu beschränken, eine endgültige und allgemeine Modifizierung des Nichtraucherschutzgesetzes, und er spricht sich gegen die Wiedereinführung der Studiengebühren, aber für mehr Lehrer aus. Und so postuliert er vertrauenswürdig: "Geben Sie Ihre Erststimme uns, wir werden wenigstens versuchen noch etwas daraus zu machen."
Für wen: Ruppert ist für all jene interessant, die sich vom Frankfurter Flughafen gestört fühlen und glauben, dass mit einer Veränderung des Anflugwinkels auf die Landebahn von 3,0 auf 3,2 Grad eine merkliche Besserung der Lebensqualität entsteht.
Familie Schmidt
Wer: Weder dem Kreiswahlleiter noch dem Rathaus ihrer Heimatgemeinde, noch dem örtlichen Telefonbuch bekannt, wurde Familie Schmidt schon als das große Phantom der Hessenwahl gehandelt. Eine handschriftliche Interviewanfrage brachte aber die Wende: Kurz vor Rechercheschluss trat das dynamische Duo - Herr und Frau Schmidt - doch noch auf die große Bühne der Politik.
Was: Das einzige fixierte Wahlmanifest von Familie Schmidt ist ein Video bei Youtube (mit Hintergrundmusik von den Puhdys!). Das Programm ist klar: die Lebensqualität in und um Schwalmstadt steigern. Denn dann, ist sich Kraftfahrer Peter Schmidt sicher, wird auch das Bruttosozialprodukt steigen, und das wiederum würde Geld für weitere Großprojekte lockermachen. Dem ehemaligen SPD-Mitglied liegt auch der Abbau von Armut und Arbeitslosigkeit am Herzen. Wie das allerdings genau passieren soll, "darüber mache ich mir Gedanken, wenn es dann so weit ist". Denn Schmidt sieht sich eher als intuitiver Politiker, der aus dem Bauch heraus entscheidet. Vorher große Versprechungen machen, sei daher nicht seine Welt. Onlinedurchsuchungen dagegen gehören "nicht auf seinen Teller", ebenso wenig die Behördenwillkür der anscheinend ziemlich tyrannischen hessischen Verwaltung.
Für wen: Im Allgemeinen für diejenigen, die das "Abenteuer Menschlichkeit" wagen wollen, besonders für alle Schwalmstädter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?