Parteichef im Hessen-Wahlkampf: Müntefering schimpft über Raubritter
SPD-Chef Müntefering schwört in Hessen die Genossen auf den Hessen-Wahlkampf ein. Roland Koch schließt eine Regierung mit SPD oder Grünen aus.
Alles wieder gut im lange gestörten Verhältnis zwischen der Zentrale der SPD in Berlin und den Genossen in Hessen nach dem knapp ein Jahr dauernden kühnen Ritt von Landesparteichefin Andrea Ypsilanti durch die politische Landschaft mit gleich zwei Abwürfen kurz vor dem Ziel? Der am Sonntag als Gastredner zum Neujahrsempfang der Hessen-SPD nach Gießen in die Kongresshalle geladene Bundesparteichef Franz Müntefering jedenfalls - in der Vergangenheit einer der schärfsten Kritiker der "hessischen Verhältnisse" - begrüßte herzlich "den lieben Thorsten, die liebe Andrea und für alle Rechtgläubigen alle lieben Genossinnen und Genossen".
Dass das ein Plädoyer des Westfalen für den Schulterschluss im Wahlkampfjahr 2009 war, verstanden alle rund 800 Genossinnen und Genossen, die zu Sekt, Bretzeln und Münte nach Gießen gekommen waren. Und dass der Chef ihren neuen Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel, genannt TSG, der als Gießener ein Heimspiel hatte, in seiner Rede mehrfach mit Lob bedachte, gefiel ihnen auch. Sie dankten es ihm mit minutenlangem Beifall.
Dazwischen gerierte sich Müntefering als Weltökonom; und was er vortrug, hätte mit Abstrichen auch dem anderen selbsternannten Weltökonom aus dem Saarland, dem ehemaligen Parteivorsitzenden der SPD Oskar Lafontaine von der Linken gefallen. "Wild gewordene moderne Raubritter" hätten die ganze Welt in eine Krise gestürzt, deren Ausmaß noch nicht abzusehen sei, wetterte Müntefering: "Die Hütte brennt!" Jetzt müsse es darum gehen, den Brand zu löschen, neu aufzubauen und die Statik am Haus zu verbessern. Dazu seien Bundesregierung und Landesregierungen sowie Städte und Gemeinden in Deutschland auch entschlossen; "Arbeitsplätze erhalten und Arbeitsplätze schaffen", sei dabei das Gebot der Stunde. Und in diesem Zusammenhang sei es "gut, dass die SPD im Bund mitentscheidet und nicht Frau Merkel alles alleine bestimmt". Auch das föderale System müsse beweisen, dass es funktioniere; Kompetenzstreitigkeiten könne sich Deutschland nicht mehr leisten.
Vor allem den Banken müsse unmissverständlich klargemacht werden, dass es ein "Weiter so!" nicht geben könne. Müntefering klagte "das Primat der Politik" ein. "Geld darf nicht länger machen können, was es will", rief er. Langer Applaus war ihm sicher. Gefragt seien jetzt die alten Tugenden der SPD: Das Soziale und das Demokratische - und die Erneuerung der Sozialpartnerschaft zwischen Unternehmen und Gewerkschaften. In den Firmenbilanzen sei Schwarz nämlich ausnahmsweise einmal eine "gute Farbe". Aber eines müsse klar sein: "Die Wirtschaft ist für die Menschen da und nicht umgekehrt!"
Der gefeierte Münte gab dann noch zwei Wahlprognosen ab: "TSG wird Ministerpräsident, und die SPD zieht ins Kanzleramt ein." Was will man mehr - als Sozialdemokrat.
Der amtierende Ministerpräsident Roland Koch von der CDU hatte am Wochenende erklärt, die Sozialdemokraten stünden auch unter Schäfer-Gümbel zu weit links für eine Koalition. "Und es gehört zur nötigen Klarheit zu sagen, dass für uns und die Grünen hier zurzeit nichts möglich ist."
Schäfer-Gümbel nannte Koch einen "Blender" und warf ihm "zehn Jahre Stillstand" vor. Er wolle einen Neuanfang mit stabilen Verhältnissen. Die SPD habe nach den gescheiterten Plänen einer Zusammenarbeit mit der Linken Vertrauen verloren.
Andrea Ypsilanti trat ebenfalls in Gießen auf. Als Landesparteichefin sprach sie nach herzlichem Empfang ein Grußwort, in dem sie Koch Lernresistenz "in jeder Beziehung" attestierte und ihm erneut den Fehdehandschuh zuwarf: "Diese Partei gibt diese Wahl nicht verloren!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos