: Partei ohne Adjektive
■ Die Nationale Front bombardiert die Zeitungen mit Gegendarstellungen
Paris (taz) – „Rechtsextrem“ darf man die Front National in Frankreich nicht mehr nennen, „rassistisch“ und „fremdenfeindlich“ auch nicht, und „faschistisch“ schon gar nicht. Journalisten, die Jean-Marie Le Pens Partei mit diesen Adjektiven einordnen, riskieren ein „Antwortrecht“ – eine Art Gegendarstellung, die an derselben Stelle wie der ursprüngliche Artikel plaziert werden muß. Die Tageszeitung Libération hatte so etwas auf richterlichen Beschluß in der gestrigen, Le Monde in der vorgestrigen Ausgabe.
Bereits im Oktober hatte Le Pen sämtlichen französischen Medien schriftlich angedroht, er werde künftig systematisch von dem Antwortrecht Gebrauch machen, wann immer seine Partei als „rechtsextrem“ bezeichnet werde. Seither hat er neben Libération und Le Monde auch das Satireblatt Canard Enchainé und die linke Wochenzeitung Charlie Hebdo verpflichtet, seine Propagandatexte abzudrucken. Das erst 1981 zum Schutz der Persönlichkeit eingeführte Antwortrecht ermächtigt jede Person, die namentlich in einer Zeitung genannt wird, in einem kurzen Zeitabstand und an derselben Stelle im Blatt auf den Artikel zu antworten. Nur selten verweigern Richter das Antwortrecht wegen Mißbrauchs. So geschehen im April, als ein Pariser Gericht zugunsten von Libération und gegen Le Pen erklärte, das Antwortrecht diene nicht der Verbreitung der Thesen einer Partei.
Die 1972 gegründete Front National, die den Kampf gegen die Immigranten und für die „nationale Präferenz“ auf ihre Fahnen geschrieben hat und die sich auf Frankreichs rechtsextreme Theoretiker der Vorkriegszeit beruft, hat stets eine erfolgreiche Medienpolitik betrieben. Seit Anfang der 80er Jahre ist Parteichef Le Pen von den Bildschirmen nicht mehr wegzudenken. TV-Journalisten befragen ihn nicht nur zu seinem Abschneiden bei Urnengängen, die unablässig besser werden und bei den französischen Präsidentschaftswahlen im Vorjahr bei 15 Prozent lagen, sondern laden ihn längst auch als Kommentator zu anderen Themen nationaler Bedeutung ein. Bei solchen Gelegenheiten hetzt der einstige Algerienkämpfer gegen die „etablierten Parteien und Politiker“ und gegen die „Dekadenz Frankreichs“.
Für die Parlamentswahlen im Jahr 1998 rechnet die Front National fest damit, daß sie in die Nationalversammlung einziehen und dort möglicherweise eine entscheidende Rolle spielen wird. Ihre Chancen dafür stehen nicht schlecht: Bei den Wahlen der letzten Jahre hat sich die Front National zur stärksten Arbeiterpartei Frankreichs entwickelt. Seit 1995 regiert sie nicht nur drei französische Städte, sondern hat in zahlreichen Gemeindeverwaltungen ihre Leute sitzen. Sie hat eine starke Position im Militär und in der gewerkschaftlichen Vertretung der Polizei errungen und sitzt inzwischen auch an zentraler Stelle in den gewählten Gremien der staatlichen Wohnungsgesellschaften. Dorothea Hahn
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