: Partei ergreifen ist out
Den Parteien laufen seit Jahren die Mitglieder davon. PDS und SPD schrumpfen am stärksten, CDU und FDP geht es nicht viel besser. Lediglich die Grünen verzeichnen in Berlin Mitgliederrekorde
VON MATTHIAS LOHRE
In der Not fordern Parteien in Berlin schon mal zur Gewalt auf. „Zeig Diepgen, wo der Hammer hängt“, plakatierte die Hauptstadt-CDU vor fünf Jahren, als Eberhard Diepgen noch die Stadt regierte und nur wenige bei diesen Worten an Rücktritt dachten. Die Haltestellen-Poster sollten der Union helfen, 1.500 überwiegend junge Neumitglieder zu werben. Doch die Kampagne floppte. Seither reiht sich die Berliner Union in die Riege von SPD, PDS und FDP, die sich allesamt ratlos fragen: Wie stoppen wir die Schrumpfung unserer Mitgliederschar?
Seit mehr als zehn Jahren gleichen Neueintritte nicht mehr die Todesfälle und Austritte aus, nur die Grünen legen zu. Die Parteien verlieren so Mitgliedseinnahmen und Steuerzuwendungen. Die Basis, die bei Wind und Wetter die Wacht an den Fußgängerzonen-Ständen hält, schrumpft. Am schlimmsten trifft es die PDS. 1993 hatten die Sozialisten mehr als 23.000 Mitglieder in der Stadt, davon 273 im Westen. Heute steht die Partei mit weniger als 9.700 Parteigenossen zerrupft da. Hauptgrund ist wie bei der Konkurrenz die Überalterung: Die meisten Mitglieder sterben weg. Nur wenige wenden sich bewusst von ihrer politischen Heimat ab. Jedoch ist der Altersdurchschnitt bei den Genossen besonders hoch: Zwei Drittel der PDS-Mitglieder sind älter als 60 Jahre.
Ähnlich steil fällt die Mitglieder-Kurve beim Koalitionspartner SPD ab. Ende 1998 zählte sie noch mehr als 21.000 Mitglieder, heute sind es nur noch 16.760. Nicht nur die Überalterung ist hierfür verantwortlich. Bis 1990 mussten Mieter einer Genossenschaftswohnung im von Wohnungsmangel geplagten Westberlin das SPD-Parteibuch vorweisen. Das gaben viele nach und nach zurück.
Doch Schadenfreude können sich die anderen Parteien nicht leisten: „Den dramatischen Mitgliederschwund bei SPD und PDS wird die CDU in etwa zehn Jahren erleben. Den Grünen steht er voraussichtlich in 20 bis 25 Jahren bevor“, sagt Ingrid Reichart-Dreyer, Parteienforscherin an der TU (siehe Interview unten). Denn dann wird die demografische Entwicklung auch bei ihrer Mitgliederbilanz voll durchschlagen – und zwar negativ.
Bis dahin können sich die Grünen über Mitgliederrekorde freuen. Ende Januar zählte der Landesverband 3.549 Grüne, 10 Prozent mehr als 1995. Damit sind die Austritte wegen des Kosovokrieges 1999 aufgeholt. Grünen-Hochburgen sind Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg.
Die ähnlich kleine FDP hingegen hat in den vergangenen zehn Jahren 15 Prozent ihrer Mitglieder verloren und sich bei 2.700 gefangen. Ähnlich wie bei der CDU wohnen ihre Anhänger vor allem in den bürgerlichen Westbezirken. Die Zweiteilung der Stadt setzt sich bis heute fort: Nur 300 der 13.700 CDUler leben in Lichtenberg, und nur 31 Sozialisten halten es in Spandau aus.
Doch wie lässt sich der Aderlass der Parteien stoppen? Statt mit ironisch gemeinten Plakaten um junge Menschen zu buhlen, setzen sie heute verstärkt auf Basisarbeit. Mitglieder werben Mitglieder, CDUler erhalten in Seminaren rhetorische Hilfestellungen für den Nahkampf mit den potenziellen Wählern. Die besten Anwerber bekommen Preise. Für alles andere fehlt es den Parteien am Wichtigsten: dem Geld.