Pariser Modewoche: Als die Zeit anhielt
Letzte Woche stand Paris im Zeichen der Männermode. Alle namhaften Designer waren dort. Sie zeigten Fahrräder, Hüte aus der Bastelgruppe und zu wenig Sex.
Aus Paris kommen die Ideen für die künftige Männermode. Hier zeigen vor allem die kreativen Designer ihre Kollektionen. Die, die auch gegen den Mainstream arbeiten, Grenzen ausreizen, sich intellektuelle Fragen stellen und vor allem konzeptionell arbeiten. Sprich: die Designer, die Mode nicht nur als Kleidung verstehen, sondern als gesellschaftlich-relevanten Beitrag.
Die Sommerkollektionen des Jahres 2013 jedoch – alles schon gesehen. Keine neuen Ideen – und vor allem keine Infragestellung von gesellschaftlichen Normen. Wenig Progressives, stattdessen Stillstand.
Issey Miyakes Idee für die Sommer-Männermode 2013 beinhaltet ein Fahrrad. Er lässt seine Models auf Rädern in die Halle fahren, die dann seine Kreationen aus Washi-Papier, ein handgeschöpftes, durchscheinendes Papier aus Japan, tragen. Das Fahrrad ist schon lange eins der Lieblingsaccessoires der Modebewussten geworden. Vor allem auf Streetstyle-Blogs gilt das Rad neben der Zigarette als das Beiwerk schlechthin.
Mit der Präsentation auf dem Laufsteg ist das Fahrrad noch konsensfähiger geworden. Es sagt: Auch als modebewusster Mensch darfst du Rad fahren. Das Fahrrad ist das günstigste und auch ökologistische Verkehrsmittel, bei Miyake symbolisiert es aber weder Kritik noch einen ökologischen Gedanken. Es dient eher als cooles Accessoire für urbane Menschen, es steht für Freiheit.
Die Looks der Straße
Der belgische Designer Kris Van Assche, ehemals Kreativdirektor von Dior Homme, lässt seine Männer T-Shirts tragen – dazu ein Baseballcap. Auch beim Südkoreaner Juun J. tragen die Männer schneeweiße Baseballmützen. Die Mützen wurden einst in Amerika von Gangs getragen – sie waren Zeichen der Zugehörigkeit. Seit den 70ern schafften es die Mützen in so ziemlich jeden Kleiderschrank von Teenagern. Glaubwürdigkeit ist ein großes Thema in Paris. Deshalb will man die Looks der Straße. Doch kein Kreativer schafft es, dies vernünftig zu transportieren.
Die Baseballcap an sich ist preiswert herzustellen, sie kann gar nicht als Statussymbol fungieren, ist nichts Besonders. Sie soll als Kontrast dienen, das kann aber nur funktionieren, wenn die Models zur Mütze Anzüge tragen – wie Kris Van Assche es bereits in seiner Winterkollektion 2012 zeigte. Neu ist also auch diese Idee der heruntergebrochenen Ironie, der Gegensätzlichkeit von Straßen- und Businesslook nicht.
Neben der Sportmütze fallen vor allem die kurzen Hosen auf. Raf Simons, ehemaliger Modedesigner von Jil Sander, führt uns bei seinem eigenem Label zurück in die gute alte Zeit der Schuluniform und setzt noch eins drauf. Seine Regel lautet: je kürzer, desto besser. Auch bei der Mailänder Modewoche waren kurze Hosen auf fast allen Laufstegen zu sehen. Die kurzen-kurzen Hosen – Short Shorts – müssen über dem Knie enden, auf gar keinen Fall sollten sie sich ins Dreiviertel oder gar Siebenachtel wagen.
Grenzwertige Kürze mit Schlitz
Die Modelle von Raf Simons für den Sommer 2013 haben neben grenzwertiger Kürze noch einen Schlitz. Schon lange sieht man kurze Hosen auf den Laufstegen, und weil den Designern offenbar die Ideen ausgehen, versuchen sie die Länge zu variieren – statt Form oder Material.
Und Givenchy? Designer Riccardo Tisci spielt mit religiöser Ikonografie. Heiligenprints auf überproportionalen Pullovern, klerikale Kostüme und der Geruch von Weihrauch in der Luft. Nicht besonders originell. Auch inspirationslos ist Tiscis Idee, Frauen mit Kurzhaarfrisuren auf der Männermodewoche laufen zu lassen. Der gewünschte Trompe-l’-oeil-Effekt, also die optische Täuschung, wurde in keiner Sekunde erzielt. Selbstverständlich muss man sich die Genderfrage in der Mode nach wie vor stellen, doch muss sie über dieses Spiel mit der Täuschung hinausgehen.
Wenn Männer einen Rock tragen oder wie bei Mugler halterlose Nylonstrümpfe, dient das nur als Mittel der plakativen Provokationen, die erstmal nichts infrage stellt, weil man sie mittlerweile schon zu oft gesehen hat. Frauen in vermeintlicher Männerkleidung, Männer in vermeintlich weiblicher Mode, das reicht nicht mehr.
Es sollte doch eher um Fragen gehen wie: Brauchen wir immer noch streng heteronormative Kategorien in der Mode, also einen strikt getrennten Markt für Frauen- und Männermode? Oder kann man diese strenge Mann-Frau-Dichotomie aufbrechen?
Resterampe mit albernen Hüten
Walter Van Beirendonck stellt sich eigentlich diese Fragen, enttäuscht aber. Für den Belgier liefen sonst immer Models außerhalb der Norm auf den Laufsteg. Männer mit Vollbart, Männer mit Bauch, haarige Männer – eben Typen, die vom eintönigen Jüngling abweichen. Dieses Mal setzt Beirendonck aber genau auf ebensolche. Was sie tragen, sieht nach Resterampe aus, wie die Stoffreste des vergangenen Jahres, ohne Konzept zusammengenäht. Um das zu kaschieren, schickt Beirendonck seine Models mit albernen Hüten auf den Laufsteg. Haben hier Grundschüler mit Pappmaschee gearbeitet?
Erst gegen Ende seiner Show besinnt sich van Beirendonck auf das, was er am besten kann: Sex. Seine Modelle tragen Stricke, in Bondagemanier geknotet. Doch Beirendonck bleibt an der Grenze seiner Möglichkeiten, hält sich zurück und scheint sein Publikum dieses Mal nicht überfordern zu wollen. Das intelligente Spiel mit homosexuellen Andeutungen, das er eigentlich grandios beherrscht, misslingt hier.
Alles Oberfläche
Selbstverständlich verläuft die Mode zyklisch und Dinge wiederholen sich. Dennoch schaffen es die Designer eigentlich jede Saison, etwas Neues zum Diskurs beizutragen. Ihre Aufgabe ist es diesen weiterzubringen, ja in Glücksfällen sogar Diskurse zu definieren. In Paris hält man aber an den gleichen Debatten fest – und das schon seit Jahren –, nämlich Dekonstruktivismus und Genderfragen.
Dieses Jahr auch noch ohne progressiven Inhalt, alles blieb Oberfläche. Mode muss und kann aber mehr sein. Sie ist gesellschaftlicher Spiegel, soll Normen infrage stellen. Sie gibt im besten Fall dem Betrachter Raum, Dinge zu hinterfragen, seine Betrachtungsweise zu erweitern. Wenn Paris also gerade die Zukunft abbilden soll, dann muss die Zeit angehalten werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?