■ Paris will den Euro – trotz 3,5 Prozent Neuverschuldung: Von Frankreich lernen
Klare Aussagen von Politikern sind selten und dafür um so erfreulicher. Wie es geht, hat der französische Finanzminister Dominique Strauss-Kahn seinem deutschen Kollegen Theo Waigel gezeigt. Frankreich erwarte in diesem Jahr ein Defizit von 3,4 bis 3,8 Prozent, teilte Strauss-Kahn mit. Damit verfehlt Frankreich scheinbar die im Maastricht-Vertrag festgeschriebenen 3 Prozent. Mais oui, trotzdem machen wir bei der Europäischen Währungsunion mit, verkündete Strauss-Kahn selbstbewußt. Warum auch nicht? Der Maastricht-Vertrag läßt die Dezimalstelle der „3 Prozent“ Neuverschuldung offen. Sie sind schlicht unerheblich für die Stabilität des Euro.
Diese Erkenntnis hat sich in deutschen Politikerköpfen leider noch nicht durchgesetzt. Waigel – und jüngst auch Kohl – hat sich vor Monaten auf die unselige Diskussion um die Stelle nach dem Komma eingelassen und sich auf 3,0 festgelegt. Entweder haben sie den Vertrag nicht richtig gelesen, oder ihnen ist von dem politischen Sprengsatz des Euro blümerant geworden. Jahrelang hatten sie sich überhaupt nicht zu der Einheitswährung geäußert. Eine sachliche oder politische Diskussion haben sie nicht angestoßen, der Bevölkerung Risiken und Chancen des europäischen Geldes nicht klargemacht. Der Euro bot daher genug Projektionsfläche für Schröder oder Stoiber, denen es ja nicht um die Einheitswährung geht, sondern nur darum, eigene Wahlchancen zu verbessern oder populistisch Punkte zu machen.
Strauss-Kahn hat mit seiner Offenheit das französische Problem zu einem deutschen Problem gemacht. Niemand glaubt noch, daß Waigel mit einem Defizit von 3,0 Prozent das Haushaltsjahr 1997 abschließen wird. Es ist eine Frage von Wochen, bis er das zugibt. Vorher jedoch müssen er und Kohl noch einen tiefen Knicks machen. Und zugeben, daß 3 nicht 3,0 ist. Wie sie das machen, wird spannend werden. Ob sie es überhaupt tun, ist ungewiß.
Das aber wäre der letzte Beweis für ihr Versagen und ihre Fehleinschätzung. Unvorstellbar im Bundestagswahlkampf. Unvorstellbar ist aber auch eine Europäische Währungsunion ohne Deutschland, und auch Frankreich kann nicht draußen bleiben, weil das Pariser Haushaltsdefizit über der imaginären 3,0- Grenze liegt. Abrücken vom Euro können die europäischen Regierungschefs indes auch nicht. Wo sollten sie hinrücken? Die einzige deutsche Chance zur Rettung des Euro-Projekts sind daher vorgezogene Neuwahlen. Das haben die Franzosen ja ebenfalls den Deutschen gezeigt. Ulrike Fokken
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