piwik no script img

Paris, früher MorgenWie kanndas sein?

RESTER VIVANT

Von

Peter Unfried

Am Samstag fing der frühe Vogel noch die Würmer von Paris. Da bizzelte mein Telefon und eine Stimme sagte: „Wie kann das sein?“ Die Stimme hatte einen dermaßen gequälten Ton, dass ich automatisch an die Deutschnote eines mir nahestehenden Menschen denken musste. Der Anrufer sagte, dass er sich jetzt schon so viele Jahre „damit“ beschäftige und nun komplett ratlos sei, weil er einfach nicht verstehe, wie diese Belgier das EM-Viertelfinale gegen Wales so dermaßen aus der Hand geben konnten.

Ich sagte: „Du bist doch Profi. Du hast das deiner Kundschaft doch sicher schon ausführlich erklärt.“

„Was hat das denn damit zu tun?“, knurrte er. Wie ich sagte: ein Profi.

Es sei alles so absurd und verrückt und unfassbar. Ich sei immerhin in Lille Augenzeuge gewesen, ob ich es verstanden hätte.

Selbstverständlich nicht.

Wir sagten uns dann gegenseitig noch mal das, was man sagen kann, wenn man das Ergebnis kennt. Der außergewöhnliche Spirit der Waliser. Die strukturellen und personellen Defensivprobleme der Belgier. Kevin de Bruynes fehlender Killerinstinkt. Die strategisch desaströse Verlagerung der belgischen Ketten um fünfzehn Meter nach hinten, gegen den ausdrücklichen Willen ihres armen Kampfschweines an der Seitenlinie. Dann spekulierten wir noch eine Ebene darunter, dass die Belgier nicht nur organisatorisch, sondern auch sozial einfach kein wahres Team seien. Und noch eine Freud’sche Ebene tiefer, dass sie in ihrem Unterbewusstsein gar nicht gewinnen wollten. Ob es ein Ödipuskomplex ist oder Kain vs. Abel, habe ich schon wieder vergessen. So hätten wir weitermachen können, unter besonderer Berücksichtigung der flämisch-wallonischen und keltischen Geschichte. Wenn nicht schon wieder das nächste unfassbare Spiel angestanden hätte.

Morgen wird er wieder anrufen und fragen: Wie kann das sein?

Das muss jetzt wirklich unter uns bleiben: Es kann sein, weil es sein kann. Es passiert, weil es passiert. Es ist so, weil es so ist.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen