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Paragraph 218

■ betr.: Offener Brief an Rita Süßmuth

Offener Brief an Rita Süssmuth

Ihr Vorschlag zum Paragraph 218 hat uns in Erstaunen versetzt: Endlich wird auch in konservativen Kreisen erkannt und öffentlich kundgetan, daß das Strafrecht kein geeignetes Mittel ist, den Konflikt einer ungewollten Schwangerschaft zu lösen. Sie greifen die alte Forderung der autonomen Frauenbewegung, der Grünen und der ASF nach Streichung des Paragraphen 218 auf und reagieren endlich auf die massiven Proteste von Frauen aus Ost und West, die sich in den letzten Monaten verstärkt gegen die Indikationsregelung richten.

Die historische Chance, in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs eine entscheidende Verbesserung für betroffene Frauen zu erzielen, dürfen wir Frauen nicht ungenutzt lassen! Deshalb fordern wir Sie auf, mit Ihrer Willensbekundung, die „letzte Entscheidung über Abtreibung die Frau treffen“ zu lassen, wirklich ernst zu machen.

Dazu scheint uns Ihr Vorschlag insgesamt allerdings nicht angetan zu sein. Wir wenden uns entschieden gegen den Beratungszwang, da eine effektive Beratung und ein offenes Problemgespräch nur auf freiwilliger Basis stattfinden können. Ihren Vorschlag, den Schutz des ungeborenen Lebens im Grundgesetz zu verankern und mit Fragen des Embryonenschutzes, der Organverpflanzung und des behinderten und sterbenden menschlichen Lebens im Grundgesetz zu verknüpfen, lehnen wir als einen für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen gefährlichen Ansatz ab. Sie legen so den Rückschluß nahe, daß ein Embryo unabhängig von der Frau zu sehen ist, wohingegen doch eine weitestgehende Einheit zwischen beiden besteht.

Als unauflösbaren Widerspruch betrachten wir die Tatsache, daß Sie einerseits die Forderung der Frauenbewegung nach Streichung des Paragraphen aufgreifen, andererseits aber mit der Zwangsberatung, wie Sie von Ihnen konzipiert ist, eine Verschärfung der jetzigen Regelung herbeiführen.

Wir fordern Sie auf, wirklich im Interesse von Frauen tätig zu werden und Ihre Vorschläge noch einmal zu überdenken.

Martha Rosenkranz, Spitzenkandidatin der saarländischen Landesliste zur Bundestagswahl 1990, Die Grünen Saar

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