: Paragraph 218
■ betr.: "Kinderkriegen ist Männersache", taz vom 1.8.90
betr.: „Kinderkriegen ist Männersache“ von Willi Hoss,
taz vom 1.8.90
(...) Nicht erst, weil „wir“ verantwortlich sind, gilt es, sich einzusetzen für die Abschaffung des Paragraphen 218. In anderer Weise als Frauen sind Männer jetzt schon durch den Paragraphen 218 in eine Rolle gedrängt, in der ihre individuellen Wünsche, Phantasien, Lebensziele zu einem Leben mit einem, aber auch ohne einem Kind entwertet sind. Ihre sehr unterschiedliche Beteiligung am Leben von Frauen, an der Entscheidung, wie und ob sie ein Kind wollen, die ganzen widersprüchlichen und sehr subjektiven Hintergründe sind entwertet. In der „Notlagenindikation“ gelten alle diese Gründe nicht. Spezifisch männliche Erfahrungen kommen hinzu. (...) Sich abhängig, unter Druck gesetzt und gleichzeitig ausgeschlossen fühlend, löst diese Situation bei vielen Vätern (Lebenspartnern, Freunden) ohnmächtige Wut und Kränkungen aus. Solche und andere Erfahrungen sind Männern oft nicht bewußt, geschweige denn, daß eine politische Klärung und Aufarbeitung stattgefunden hätte. Wer sich an den Entmündigungen beteiligt, kann sich Macht- und Prestigegefühle verschaffen und herrschen; wer darunter leidet, neue Erfahrungen machen will, seine Neugier nicht begrenzen lassen und seine Bornierungen auflösen will, entwickelt Wünsche nach einer politischen Opposition unter Männern - also doch nicht „wir“ Männer.
„Ich (Frau) will abtreiben“, scheint das bedrohliche öffentliche Schreckgespenst zu sein. Offene Aggressivität und Eigenständigkeit von Frauen ist für Männer bedrohlich. „Ich (Mann- will kein Kind“, ist etwas anderes. Schließlich gebären sie, was oft großen Neid entfacht, nicht selber. (...) Sehr unterschiedliche Realitäten spielen eine Rolle Wünsche an Beziehungen, Sexualitätswünsche, Kinderwünsche, Ambivalenzen, Beteiligungen an Konflikten in den Beziehungen. Für den einzelnen Mann selbst, sind sie von allergrößter Bedeutung, auch wenn „mann“ so tut, als hätte das mit dem Paragraphen 218 nichts zu tun. Durch den Paragraphen 218 wird diesen Realitäten ihre Bedeutung bestritten. Staatliche Gewalt, sei es Zwangsberatung oder der nach dem Vorschlag von Frau Süßmuth noch ins Grundgesetz aufzunehmende Tötungsvorwurf, erschweren eine freie Auseinandersetzung. Abtreibung ist keine Tötung. Ein dreimonatiges Embryo ist kein Individuum. Dazu wird ein Kind erst, wenn es erwünscht ist. Kinder sterben an Unerwünschtheit oder leiden darunter. Der Tötungsvorwurf führt zur gesetzlich propagierten Ächtung aller (Frauen in direkter Weise), die sich für die Abschaffung des Paragraphen 218 einsetzen und Abtreibung nicht als Tötung verstehen. Im Bereich von so wichtigen privaten und besonders individuellen Erfahrungen und autonomen Entscheidungen haben der Staat und seine Gewaltmittel nichts verloren.
Die Realitätsausblendungen von Männern sind enorm!
-Ihre eigene politische Situation erklären Männer zur „Frauensache“ - selbst in kritischen Texten bringt man oft ein sogenanntes „Solidaropfer“, sieht aber keine eigenen Interessen, sich zu engagieren. Ich halte es für sinnvoll, die Widersprüche der „Männerrealität“ (Männer sind sehr unterschiedlich; es gibt nicht nur heterosexuelle Väter) unter Aufmerksamkeit für die geschlechtsspezifischen Unterschiede der Machtpositionen aufzuarbeiten.
-Unbekannt ist Männern die Geschichte der geschlechtsspezifischen Unterdrückung. Unaufgearbeitet die geheuchelten Solidaritätserklärungen in linken politischen Gruppen und die Zynismen und Männerriten. Die eigene Beteiligung gilt es zu vergegenwärtigen und historisch zu untersuchen. Zu untersuchen auch die Ausgrenzung von Männern, die ausgeschlossen und vereinzelt wurden.
-Es gibt auch neue befreiende Erfahrungen von Männern, die in sogenannten „weiblichen“ Berufen sich engagieren oder von Männern, die nicht den scheinbar „männlichen“ Vorstellungen entsprechen.
Allein sind die eigenen Bornierungen nicht auflösbar und die vielen Fragen, nicht zu untersuchen. Deshalb unterstütze ich den Aufruf. Politische Opposition ermöglicht lustvolle Erfahrungen, Neugier auf Gebiete, die als „unmännliche“ von Männern nicht betreten werden sollen. Sie ist aber auch verbunden mit der Angst, innezuwerden der konkreten eigenen Beteiligung an Herrschaft.
Johannes Strohmeier, Frankfurt am Main (BRD)
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