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Paragraph 218

■ betr.: "Da hat sich's ausgekämpft", von Inge Wettig-Danielmeier, taz vom 3.6.92

betr.: „Da hat sich's ausgekämpft!“ von Inge Wettig-Danielmeier, taz vom 3.6.92

[...] Einen nicht nur inhaltlichen, sondern auch handwerklich unausgegorenen Gesetzestext lieber heute als morgen im Bundestag zur Abstimmung zu stellen, ist alles andere als pragmatisch. Selbst wenn eine Fristenregelung mit Beratungszwang unumgänglich zu sein scheint, so ist der derzeitige Gesetzentwurf noch immer eine äußerst repressive Lösung. Es ist beachtlich, wie stark der jetzige Gruppenantrag dem Süssmuth-Entwurf ähnelt. Der Schwangerschaftsabbruch bleibt strafbar. Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren können verhängt werden.

[...] Frau Wettig-Danielmeier behauptet ferner: die derzeitige Kompromißlösung sei die einzig mögliche, denn sie bräuchten die CDU für die Mehrheitsbeschaffung. Dabei werden RechtsabweichlerInnen in der SPD und potentielle AntragsunterstützerInnen in der CDU zahlenmäßig so lange hin- und herjongliert, bis sich keine andere rechnerische Mehrheit für den Gruppenantrag ergibt. Mich würde schon interessieren, welche 40 CDUlerInnen für den Gruppenantrag stimmen werden; ich bezweifle nämlich, daß es so viele sind wie behauptet. Ich kann aus den bisherigen Presseäußerungen erst auf elf potentielle CDU-Stimmen schließen. Da es eine namentliche Abstimmung geben wird, wäre es erstaunlich, sich im Vorfeld bedeckt zu halten und hinterher nur „die Prügel“ einzustecken. Eventuell überlegen sich die einen oder anderen, die eine Karriere in der CDU planen, ihr Abstimmungsverhalten noch einmal. Denn „liberaler“ Gesinntere, für die der Paragraph 218 keine Existenzfrage, wohl aber eine Karrierefrage ist, werden sich vielleicht doch zu schlechter Letzt ihrem Fraktionsantrag anschließen.

Wegen all dieser Dilemmata wäre es doch weitaus einfacher, mit den eigenen Parteigenossen noch einmal über die Punkte zu verhandeln, die sie dazu bewegen, nicht mit ihrer Fraktion zu stimmen. Und einen Konsens, ohne auf die CDU-Stimmen angewiesen zu sein, zu suchen. Mit der PDS/LL und den Grünen/ Bündnis90 gibt es noch zwei Gruppen, die fast vollständig für die liberalstmögliche Mehrheitsversion stimmen werden. Nur will die SPD, vielleicht weil sie sich geistig schon in der großen Koalition übt, unbedingt zumindest einige CDUlerInnen bei der Abstimmung auf ihrer Seite wissen.

Festzustellen bleibt: es gibt andere Mehrheiten, mit denen zumindest die gravierendsten Mängel des Gruppenentwurfes beseitigt werden könnten. Wer sich in eine selbstkonstruierte Sachzwanglogik verbeißt und eine „liberale“ CDU-Position (Süssmuth-Linie) als den fairen Kompromiß schlechthin verkauft, beweist doch letztendlich nur, daß von seiner Seite aus kein Interesse an einer eigenverantwortlichen, gestalterischen Rolle in der Politik besteht.

Mag sein, daß da die Rechtsabweichler in der SPD genauso willkommen sind wie die Brandenburger, die dankenswerter Weise im Bundesrat für die Mehrwertsteuererhöhung gestimmt haben. Anke Uhl, Freiburg

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