Parabeln des Verrats

■ „Judasfrauen“ - Zehn Fallgeschichten weiblicher Denunziation im Dritten Reich

„Ein Spitzel muß wachsam sein. Seine Feinde sind seine Auftraggeber. Seine Feinde sind seine Opfer. Und seine Feinde sind die, die später herausfinden, daß er dabei war und nicht bestraft wurde... Ein Nachher gibt es nämlich immer, jede Ära hat ein Ende. Und wehe ihren Spitzeln, wenn sie nicht vorsorgen...„

Als die Schriftstellerin Helga Schubert dies vor drei Jahren schrieb, konnte sie noch nicht ahnen, wie schnell das „Nachher“ eintreten, wie tagesaktuell das Thema werden würde, an dem sie arbeitete. Ein Jahr recherchierte sie bereits über politische Denunziation, ihre Beweggründe und ihre Folgen. Als Bezugssystem hatte sie den deutschen Faschismus gewählt, weil es in der DDR unverfänglich war, über diesen Zeitraum zu forschen, weil es umfassendes Aktenmaterial gibt und weil sich am Nationalsozialismus exemplarisch die Strukturen aufzeigen lassen, die in allen Diktaturen zur Denunziation führen. Aber Helga Schuberts „Parabeln des Verrats“ zielten immer auf das System, in dem sie selbst lebte - die DDR.

Vier Jahre lang studierte die Autorin hunderte von Akten, Originalakten des NS-Volksgerichtshofs, Hinrichtungsprotokolle, Akten von Prozessen, die bundesdeutsche Gerichte nach dem Krieg gegen Denunziantinnen der Nazizeit geführt haben. Ihre literarische Ausbeute Judasfrauen wurde vor wenigen Wochen in der BRD veröffentlicht.

Was waren das für Frauen, die andere Menschen durch ihren Verrat töteten? Politisch fanatisierte, geltungssüchtige, geldgierige, naive, schwatzhafte, mißachtete, betrogene und bedrohte - „schwache“ - Frauen, wie Helga Schubert sagt. Und sie führt sie vor: in lakonischen Berichten - Protokolle fast, spiegelt sie im fiktiven Monolog eines Opfers, schlüpft in fiktiven Monologen in die Täterinnen hinein. Fasziniert von deren Destruktivität, gleichzeitig bemüht, sie nicht von vorneherein zu verurteilen. Über 20 Jahre arbeitete die Autorin als Psychotherapeutin. Das hat sie und ihr Schreiben nachhaltig geprägt.

Da ist Helene, Schreibkraft in einem Fliegerhorst. Für eine Million Reichsmark und einen Händedruck vom Führer verrät sie Karl Goerdeler an die Gestapo. Goerdeler gehörte zum Kreis um den Grafen von Stauffenberg. Wenn das Attentat auf Hitler gelungen wäre, wäre er Reichskanzler geworden. Goerdeler wurde 1945 von den Nazis hingerichtet; Helene wurde Millionärin und zwei Jahre später wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt.

Oder die Frau, die den Mann F. liebt, der sie aber nicht wiederliebt. Um ihn eifersüchtig zu machen, läßt sie sich mit anderen ein, mit Zwangsarbeitern. Das ist streng verboten. Ihr Geliebter verrät sie bei der Polizei. Sie rächt sich, gibt zu Protokoll, F. höre heimlich feindliche Sender. Der verratene Verräter kommt frei. Er hat gar keinen Radioapparat. Die Frau aber rettet ihre Haut, indem sie sich der Gestapo als Spitzel anbietet. Nun liefert sie andere junge Männer ans Messer. Als Warnung an F., aus Rache.

Oder die über 80jährige Frau, die von 1945 bis 1950 in Buchenwald interniert war, weil sie für den Sicherheitsdienst der Nazis, den SD gearbeitet hatte. Ein ehemaliger Kollege verriet sie nach dem Krieg an die Sowjets. Helga Schubert wußte über die sowjetischen Internierungslager in der DDR schon Bescheid, da waren sie noch kein öffentliches Thema.

Ihr Buch Judasfrauen erscheint demnächst auch beim Aufbau-Verlag in der DDR. Der Vertrag für die Weltrechte wurde bereits am 9.November 1989 unterschrieben. Die Autorin stornierte ihn jedoch wenige Wochen später - aus Empörung. Sie und andere SchriftstellerkollegInnen wollen nämlich erst Anfang Dezember 1989 erfahren haben, daß der Aufbau-Verlag der SED und nicht dem Staat oder dem Kulturbund gehörte. Helga Schubert, die immer in diesem Verlag veröffentlicht hatte, war sauer: „Alles, was ich an Devisen eingebracht habe, hat die SED eingesackt.“

Inzwischen aber hat die SED-Erbin PDS den unrechtmäßigen Besitz abgegeben. Judasfrauen wird - mit Verspätung also doch beim Aufbau-Verlag erscheinen.

uhe

Helga Schubert: Judasfrauen. Zehn Fallgeschichten weiblicher Denunziation im Dritten Reich. Luchterhand, Frankfurt a.M. 1990