Papst-Besuch: Benedikt als Boygroup
Der Österreich-Besuch des Papstes ist perfekt inszeniert, "B16" verschickt seinen Segen per SMS. Damit maskiert er seinen Fundamentalismus, meint Theatermacher Kurt Palm.
taz: Herr Palm, Papst Benedikt XVI ist drei Tage in Österreich. Sie haben für Film, Fernsehen, Theater und Operette Regie geführt. Wo würden Sie diesen Besuch einordnen?
Kurt Palm: Was sich hier abspielt, ist der Operettenstoff schlechthin. Ich bin ein Freund der Operette, weil sie von der Überspitzung, von der Lächerlich-Machung lebt. Auch aus einer unbewussten Handlung heraus. Aber es ist ein gravierender Denkfehler der Kirche, wenn sie glaubt, aus einem 80-Jährigen einen Popstar machen zu können. Zum Beispiel gibt es in Österreich "Radio Maria", das den Papst mit "B 16" ankündigt. Abgekürzt wie eine Boygroup.
Dazu gehören auch die Segensworte, die man sich per SMS schicken lassen kann, und christliche Merchandising-Produkte?
Die Kirchenentwicklung spiegelt exakt gesellschaftliche Entwicklungen wider. Im Fernsehen sieht man das: je nichts sagender und dümmer, desto aufwändiger die Inszenierung. Bombastik auf der einen Seite und Abstumpfung auf der anderen. Die einzige Aufgabe ist, die Leute als Konsumenten bereit zu halten. Die SMS-Geschichte ist so skurril wie die Priester, die früher Autos segneten. Die Leute stiegen ins Auto und krachten mit 100 km/h gegen den Baum, weil sie dachten, es könne nichts mehr passieren.
Seit diesem Jahr darf ja wieder die tridentinische Messe auf Latein gehalten werden. Ist das nicht eine widersprüchliche Modernisierung?
Nach außen hin gibt man sich hip und modern und im Hintergrund ist man eigentlich reaktionär und erzkonservativ. Unlängst fand ich in meiner Stammkirche Broschüren aus dem Jahr 1994 von Hans Hermann Groër - jenem Erzbischof, der wegen Missbrauchs Minderjähriger zurücktreten musste. Broschüren über die christliche Lebensordnung! Die Kirche tut so als hätte man diese Geschichten abgeschlossen. In Wirklichkeit brodeln sie unten.
Mit der Wahl seines Papstnamens wollte Ratzinger an den "Friedenspapst" Benedikt XV. anknüpfen, in dessen Pontifikat der Erste Weltkrieg fiel. Trägt der Vatikan heute zum Frieden bei?
Ratzinger repräsentiert den finsteren und rückwärts gewandten Teil der Kirche. Es gibt verschiedene fundamentalistische Gruppen wie die Legion Mariens, Opus Dei oder die "Kaiser-Karl-Gebetsliga für den Weltfrieden", die innerhalb der Kirche in Österreich eine ganz gefährliche Rolle spielen. Benedikt XVI hat ein Naheverhältnis zu ihnen. Das drückt sich in jenen Aussagen in Südamerika aus, dass man sich den indigenen Völkern nicht aufgedrängt habe. Oder in Aussagen gegenüber dem Islam, zu Homosexualität, Scheidung und der Heirat von Priestern.
Zum Verhältnis Staat Österreich und Katholische Kirche: Vor dem Besuch gab der Generaldirektor des öffentlichen Fernsehens eine Pressekonferenz gemeinsam mit dem Wiener Erzbischof. Ist das Ausdruck eines neuen Konkordats?
Absolut. Ein für Österreich symptomatisches Bild zeigte vor einigen Jahren Bundeskanzler, Bischof, Raffeisenbank-Chef und Landeshauptmann. Das ist der alte Schulterschluss. Nun stellt sich auch noch das österreichische Fernsehen auf absolut unangebrachte Art und Weise in den Dienst einer Kirche.
Sie haben "Das Kapital" als Hörbuch veröffentlicht. Welche Stelle passt denn zu einem Papst-Besuch?
Die Kirche würde eher die Aufhebung von 28 ihrer 29 Glaubensthesen akzeptieren als den Verlust von einem 29stel ihres Vermögens. Der Atheismus ist demnach für die Kirche ein viel kleineres Problem als soziale Bewegungen. An sich gäbe es von der Ideologie her zwischen Katholizismus und Kommunismus jede Menge Überschneidungen. Heute ist die Kirche aber ein riesiges globales Unternehmen.
Ihr Literaturkochbuch zu Adalbert Stifter zeigt, wie dessen exzessive Ess- und Trinkgewohnheiten in merkwürdigem Gegensatz zu seinen asketischen Figuren standen. Wissen Sie auch etwas über den Speiseplan im Vatikan?
Unter Papst Sergius II gab es unglaubliche Fressorgien. Am nächsten Tag ging er dann zur Messe und erbrach während der Kommunion alles auf den Altar. Ein geniales Bild: Der Leib Christi, den er vorher zu sich genommen hatte, wurde wieder hinausgekotzt. Hedonismus ist da ein Hilfsbegriff. Im Vergleich waren die Orgien von Casanova harmlose Picknicks.
Sie haben sich intensiv mit der Literatur von Franz Kafka, James Joyce und Bertolt Brecht beschäftigt. Können Sie Atheisten die Bibel empfehlen?
Rein vom literarischen Wert, gehören das alte und das neue Testament für mich zu den wichtigsten Werken. So wie viele Schöpfungsgeschichten. Sehr schön finde ich die Stellen im Neuen Testament, die soziale Konflikte ziemlich klar schildern. Wo Jesus relativ kompromisslos war und sich von den Herrschenden nicht sehr beeinflussen ließ. Wahrscheinlich muss man aber auch so spektakulär scheitern, damit man entsprechend Anhänger hat. Das ist glaube ich ein wichtiger Punkt - mit 33 ans Kreuz genagelt zu werden. Stellt man sich einen Christus vor, der mit 80 am Stock geht? Funktioniert nicht! Vielleicht ist es das Problem Ratzingers, dass er sich geriert wie Che Guevara, aber um 50 Jahre älter ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?