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Papier gegen Stiefel

■ Deutschland braucht wieder politische Plakate: eine Ausstellung in Bremen

Die nachfolgende Generation wird uns mal fragen, was wir gegen die Nazis gemacht haben. ,Nen Spaziergang mit der Kerze', werden wir dann antworten. Armleuchter, kann ich da nur sagen. „Werner vom Cap Anamur Friedenskorps“, der seine Kritik hier so wirkungsvoll auf den Punkt bringt, ist seit neuestem groß zu lesen. Ganz groß. Dagmar Steilen, Grafikerin aus Berlin, hat seinen Ausspruch in riesiger Schreibmaschinenschrift auf ein Plakat gesetzt - und damit mehr gemacht als ,nen Spaziergang mit Kerze'.

Seit gestern stellt die Sparkasse in der Kassenhalle am Brill dieses und andere „Plakate gegen Gewalt und Fremdenhaß“ aus.

150 Werke befinden sich seit einem Jahr auf dem Weg durch die Republik. Plakat-Künstler, Designer und Grafiker reagieren mit dem klassischen Mittel des politischen Plakats auf die geballten Ausschreitungen des Jahres 1992. Deutschlands Designerverbände riefen zu einem Ideenwettbewerb auf. Die Resultate der wütenden Kreativität: 1579 Einsendungen.

Immerhin, 35 Prozent Beteiligung von Frauen und 25 Prozent aus den neuen Bundesländern. Kaum hatten die Veranstalter ihren Aufruf gestartet, konnten sie sich vor Einsendungen nicht mehr retten. Zum Teil trafen täglich 150 Plakate ein. Friedrich Dodo de Boer vom Bund deutscher Graphiker erklärt: „Im Unterschied zum freien Künstler, der von sich aus aktiv wird, hat der Designer ja im Normalfall einen Auftraggeber. Er ist eher Mittler zwischen diesem Auftraggeber und der Zielgruppe. Aber er ist Spezialist für die Gestaltung von visueller Kommunikation. Wenn man sich die Reaktion anschaut, wird deutlich, daß ein großer Bedarf bestand, sich zu äußern.“

Überzeugend wirkt das Projekt auch mit seinen künstlerischen Resultaten: Wütende Text-Plakate, die mit fetten Typografien dem Leser ins Gesicht springen: „Sind sie ein RAUSländer?“, „Die Deutschen verzeihen den Juden AUSCHWITZ nicht“ und „Das sind keine Neonazis, das sind unsere KINDER.“

Farbige Fotos, die AsiatInnen oder AfrikanerInnen zeigen und schlagartig vor Augen führen, welche attraktive Mischung dieser Gesellschaft entgeht, wenn sie der Fremdenfeindlichkeit keinen Einhalt gebietet. Und Kombinationen aus Bild und Text, wie die Arbeit von Silke Tessmer aus Bremen, die eine Landkarte von Europa zeigt. Ein Gewirr von roten Pfeilen liegt auf den Ländergrenzen, Adern, die die Völkerwanderungsbewegungen der letzten Jahrhunderte nachziehen. Darunter: „Kein Volk ist ein Volk.“

Die formale Vielfalt, die aus den ausgestellten Plakaten spricht, illustriert den Glücksfall dieses Projekts. Eine Kombination von Thema und Künstlergruppe, die sich als ausgesprochen produktiv erwiesen hat.

Gerade bei den Graphik-DesignerInnen, die ihre Kreativität sonst im eher abgesteckten Rahmen des Publikumsgeschmacks beweisen müssen, hat der Plakatwettbewerb zu einer Fülle von sehenswerten Kollagen, neuen optischen Lösungen oder einfach wirkungsvollen politischen Blättern geführt. Am deutlichsten bringt Rolf F. Müllers Plakat den Bezug zum Ausdruck. Es heißt, wie der begleitende Katalog: Wi(e)der Gewalt.

Susanne Raubold

bis 9.Sep. in der Kassenhalle der Sparkasse am Brill. Mo.-Mi 9-16.30, Do. 9-18 und Fr. 9-14.30 Uhr

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