Papageien in Innenstädten: Die neuen Europäer
Sie singen, sprechen und sehen gut aus: Papageien erobern unsere Innenstädte. Viele sind ihren Besitzern entflohen. Manche wollen zurück.
Viele in Gefangenschaft gehaltene Vögel sagen irgendwann Nein zum Entzug ihres Luftraums – und flüchten durch ein offenes Fenster ins Freie. Gelegentlich sieht man entflogene Kleinpapageien, australische Wellensittiche und Nymphensittiche in einem Straßenbaum sitzen. Ihre Besitzer stehen unten mit dem Käfig in der Hand und versuchen sie zurückzulocken, oft hilft die Feuerwehr mit einem Leiterwagen – jedoch meist vergeblich.
Man sagt, dass die exotischen Vögel nicht lange in Freiheit überleben: Wegen der Kälte und weil die hiesigen Vögel sie jagen. In den Achtzigerjahren soll es in Berlin jedoch so viele entflohene Wellensittiche gegeben haben, dass sie sich zu einem wehrhaften Schwarm zusammenfanden und am Stadtrand in Rieselfeldern überlebten, wo sie bei Kälte zusammenrückten.
Im Rhein-Main-Gebiet bildeten indische Halsbandsittiche nach ihrer Flucht ebenfalls kleine Schwärme, sie leben jedoch in den Innenstädten, wo sie sich etwa von weggeworfenen Speiseresten der Menschen ernähren. Lange Zeit waren sie sehr beliebt, aber es wurden immer mehr und ihr herabregnender Kot und ihr Gekreische wurden zunehmend als lästig empfunden. Zumal abends, wenn mehr als 1.000 dieser grünen Papageien mit roten Schnäbeln sich auf ihren Schlafbäumen in der Altstadt versammelten und alle durcheinanderredeten.
Der Deutschlandfunk berichtete, dass die Stadt deshalb beschlossen habe, sie zu vertreiben. „Sie sollen nur dann in Ruhe gelassen werden, wenn sie sich einen Ort suchen, an dem sie niemanden stören.“ Die Naturschützer sind dagegen – die Papageien seien für andere Vogelarten nützlich. Der Ornithologe Achim Kemper erklärte, dass sie der Hohltaube helfen: „Der Sittich hält den Höhlenraum vor, und die Hohltaube wartet, bis dieser seine erste Brut großgezogen hat, dann kann sie noch innerhalb der Sicherheit der Halsbandsittich-Kolonie erfolgreich brüten.“
Kleinpapageien auf dem Vormarsch
In Düsseldorf nutzen die Halsbandsittiche ihren Schlafplatz in der Innenstadt zusammen mit Rabenvögeln. Tobias Krause vom dortigen Gartenamt erklärt jeden Herbst geduldig aufs Neue: „Das müssen die Leute einfach hinnehmen“ – wenn auf der „Kö“ die Zahl der Vögel auf 3.000 anschwillt. In spanischen Städten sind argentinische Mönchssittiche ein Problem.
Dabei handelt es sich ebenfalls um entflogene oder ausgesetzte Papageien. Sie wurden dort zunächst zwar als gerechte „Rache für die Conquista“ angesehen, aber mit zunehmender Zahl (über 5.000 wurden 2016 allein in Madrid gezählt) sind selbst die Vogelschützer sich nicht mehr einig, ob man sie wie jede Vogelart schützen oder vertreiben soll, weil sie eventuell einheimische Vogelarten verdrängen.
Sie vertreiben sich aber auch selbst, indem sie auch bereits in etlichen anderen EU-Staaten heimisch geworden sind. Ihre größte Kolonie soll es in Köln geben, wo sich die Mönchssittiche mit den Halsbandsittichen um Nahrung streiten. Umgekehrt haben sich die Halsbandsittiche aber auch nach Spanien ausgebreitet, ihre Hauptstadt ist Barcelona. Dort wie nahezu überall in Europa sind die Kleinpapageien auf dem Vormarsch, während die Spatzen immer seltener werden.
In Berlin-Mitte saß im vergangenen Frühjahr, als es noch kalt war, ein aus Indonesien stammender weißer Kakadu namens Charlie in einem Baum und wollte nicht zurück zu seiner Besitzerin, die auf der Straße stand und ihn vergeblich nach unten zu locken versuchte. Schließlich rief sie die Feuerwehr, die mit acht Mann, einem Löschfahrzeug und einem Leiterwagen anrückte.
Die Besitzerin des Vogels musste die Kosten des Einsatzes bezahlen – rund 1.000 Euro. Zunächst wurde sie aber mit der Drehleiter hochgefahren – nahe an Charlie heran, sodass sie ihn bitten konnte, sich auf ihre Hand zu setzen, was er auch tat. Unten am Baum sammelten sich derweil immer mehr Schaulustige, die sich dann alle über die gelungene Rettungsaktion freuten.
„Widerstandslos in Gewahrsam“
Ähnliches passierte in Göttingen, wo die Feuerwehr einen vier Jahre alten mittelamerikanischen Blauara namens Diego mitsamt seiner Besitzerin, der er entflogen und die ihm deswegen nachgestiegen war, aus einem hohen Baum holte.
Im Esslinger Tierpark entkam ein Papageienpärchen. Vielleicht wurde es auch „befreit“. Die beiden saßen auf einem Wohnhaus. Tierrettung, Feuerwehr und Tierparkmitarbeitern gelang es, sie „widerstandlos in Gewahrsam“ zu nehmen, wie die Polizei mitteilte.
Weniger glücklich ging dagegen der kurze Flug der südamerikanischen Blaustirnamazone Riko auf einen Baum in Kassel aus. Sein Besitzer, Peter Koch, ein Musiker, lebte 32 Jahre mit ihm zusammen, wobei der Papagei, sein „bester Kumpel“, am liebsten auf seiner Schulter saß. Auch ein offenes Fenster lockte ihn nicht in die Freiheit. Jetzt im Februar wollte Peter Koch die Batterie seines Motorrads ausbauen und ging vor die Haustür – ohne zu merken, dass Riko immer noch auf seiner Schulter saß. Auf der Straße erschreckte sich der Papagei und flog auf einen Baum.
Dort blieb er auch, als sein Besitzer eine – zu kurze – Leiter holte. In seiner Not rief er die Feuerwehr, die kam jedoch nicht: Ein entflogener Vogel sei kein Notfall. Als es dunkel wurde und zu regnen anfing, wurde Riko unruhig und flog über ein Haus davon. Am übernächsten Tag fand man ihn nur wenige Häuser entfernt tot am Boden.
Peter Koch gibt der Feuerwehr die Schuld. Er hat eine CD zusammengestellt mit selbst eingesungenen Liedern, die der Papagei gerne gehört hat, auf dem Cover steht: „In Gedenken an Riko, dem die Kasseler Feuerwehr jede Hilfe verweigert hat.“ Desohngeachtet macht er sich selbst die schlimmsten Vorwürfe.
Nein heißt nein
Die südamerikanischen Blaustirnamazonen sind ähnlich sprach- und gesangsbegabt wie die afrikanischen Graupapageien. Im Jahr 2007 starb Alex, die Intelligenzbestie unter den Graupapageien. Er war zwar in 31 Jahren bei seiner Besitzerin, der Psychologin Irene Pepperberg, die ihm unentwegt Worte und Zahlen beibrachte, nie weggeflogen, dafür hatte er aber gelernt, „Nein!“ zu sagen. In Pepperbergs Buch „Alex und ich“, das sie ein Jahr nach seinem Tod veröffentlichte, heißt es: „Während unserer Arbeit lernte Alex, Nein zu sagen. Und Nein hieß dann auch Nein.“
Bis es so weit war, hatte er es erst einmal auf die unter Papageien übliche Weise zu „sagen“ versucht: kreischen, beißen oder, „wenn er keine Lust mehr hatte, auf die Fragen eines Sprachtrainers zu antworten, die betreffende Person ignorieren“, ihr den Rücken zukehren, sich ausgiebig putzen … Meist kam er damit durch, seine Trainer verstanden ihn: „Subtil war unser Alex nicht gerade“, meint Irene Pepperberg. Aber dann hörte er unbeabsichtigt das Wort Nein, „und schon bald verwendete er diese Bezeichnung, um uns zu verstehen zu geben: ,Nein, das mag ich nicht!'“
In einem Dialog mit seiner Sprachtrainerin Kandia Morton hörte sich das so an: „K: Alex, was ist das? [ein quadratisches Holzstück hochhaltend] – A: Nein! – K: Ja. Was ist das? – A: Vier Ecken Holz [undeutlich, aber richtig] – K: Vier. Sag es schöner! – A: Nein! – K: Ja! – A: Drei. Papier [völlig falsch] – K: Alex. Vier, sag vier. – A: Nein. – K: Komm schon. – A: Nein.“
Laut seiner Besitzerin genoss Alex seine wachsende Publicity: Kameras, Mikrofone, staunendes Personal, freudige Trainer und Fans: „Er stand nun mal gerne im Mittelpunkt. Dann trat ein gewisses Glitzern in seine Augen, er plusterte sich auf – im übertragenen Sinne – und nahm die Pose des Stars an.“
Irgendwann war er jedoch das ewige Sprachtraining und auch die wachsende Aufmerksamkeit leid: „In puncto Verweigerung wurde er umso kreativer, je älter er wurde“, schreibt Irene Pepperberg, dennoch freute sie sich: „Alex versteht die Bedeutung des Begriffs ,Nein'.“ Sie folgerte daraus sofort – ganz im Sinne der Beschreibung ihres Alex-Sprachforschungsprojekts: „Sein Ausdruck eines negativen Konzepts war durchaus schon als fortgeschrittenes Stadium sprachlicher Entwicklung zu betrachten.“ Aber im Herbst 2007 sagte Alex endgültig Nein – und starb. Seine Besitzerin brach darüber fast zusammen. Ihr ganzes Leben und ihre Wissenschaftskarriere hatte an ihm gehangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe