Panter Preis Nominierte: Handeln statt reagieren

Felix Weisbrich hat in Berlin die Pop-Up-Radwege erfunden. Ihm geht es dabei nicht zuletzt um eine klimagerechte Neuverteilung des Stadtraums.

Für ihn ist der öffentliche Raum ein "Ort der Sehnsucht": Behördenleiter Felix Weisbrich Foto: Sara Lühmann

04.09.21 | Von ANSGAR WARNER

„Straßen- und Grünflächenamt des Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg“, das klingt irgendwie wenig revolutionär. Und doch ist diese Behörde mit ihrem Chef Felix Weisbrich seit dem Corona-Jahr 2020 nicht nur berlin-, sondern deutschlandweit ins Rampenlicht gerückt.

Denn während sich anderswo zur Rush-Hour auf den Hauptstraßen zwischen wenigen Autos immer mehr Rad­fah­re­r:in­nen schlängelten, poppten im Szenebezirk der Hauptstadt quasi über Nacht neue Radwege auf, abgesperrt mit Baustellen-Schildern, angezeichnet mit gelben Klebestreifen.

Der Pop-Up-Radweg war geboren, und machte landesweit Furore. Zugleich wurde Felix Weisbrich zum gefragten Experten in Sachen Verkehrswende, fast eine Art Dr. Drosten des pandemischen Radelns. Das Greenpeace-Magazin taufte ihn gar den „Radwegekönig“. Dabei ist der studierte Forstwissenschaftler und Verkehrsplaner eigentlich deutlich vielseitiger aufgestellt: „Ich bin auch verantwortlich für 420.000 Stadtbäume, man könnte sagen: meine Behörde ist eine Art Innenstadt-Forstamt plus Straßenraum.“

Der taz Panter Preis ist ein Preis für zivilgesellschaftliches Engagement, der seit 2005 von der taz Panter Stiftung vergeben wird – dieses Jahr zum Thema Nachhaltige Mobilität.

In den nächsten Wochen stellen wir Ihnen die sechs Nominierten an dieser Stelle vor. Die zwei, je mit je 5.000 Euro dotierten taz Panter Preise – ein Publikumspreis und ein Jurypreis – werden unter ihnen ausgewählt.

Unser Publikumsvoting findet vom 18. September bis zum 17. Oktober statt, und bekannt gegeben werden die zwei Preisträger schließlich am 13. November. Mehr Infos unter: www.taz.de/panter

Aus dem Wald in die Stadt

Tatsächlich war der 47-jährige auch schon mehr als zehn Jahre lang als Förster in mecklenburgischen Wäldern unterwegs, und brachte dadurch 2019 bei seinem Wechsel nach Berlin eine zentrale Erfahrung mit: „Angesichts häufiger Sturmschäden habe ich erlebt, was es heißt, den Klimawandel erdulden zu müssen.“ Der Wechsel in die Stadt habe eine einmalige Chance geboten – den Schritt vom Reagieren zum Handeln.

Ob Stadt, ob Land, letztlich stoße man immer auf dasselbe Problem: „Ob es nun um Monokulturen auf dem Acker geht oder um den Vorrang für Autos auf den Straßen – in beiden Fällen handelt es sich um klimaschädliche Flächennutzung, die viel zu wenig hinterfragt wird“, so Weisbrich.

Ohne Corona wäre das wohl immer noch so. Berlin als Kommune besaß zwar schon ein vorbildliches „Mobilitätsgesetz“, als Weisbrich von einer Zwischenstation als Forstreferent im Landwirtschaftsministerium in die Hauptstadt wechselte. „Doch die einzelnen Räder der Verwaltung greifen oft leider nicht richtig ineinander, andere Metropolen wie Paris, Barcelona oder London haben klarere Entscheidungsstrukturen“, bemängelt Weisbrich.

Die Krise wurde zur Chance – nicht nur Pop-Up-Radwege entstanden im rasanten Tempo. Diagonalsperren zügeln zunehmend den Durchgangsverkehr in Kiezen, für Autos zeitweise gesperrte Spielstraßen beleben diese, während „Schankvorgärten“ Platz für Außengastronomie schaffen, wo vorher nur PKWs parkten. Im zweiten Schritt folgte dann die Verstetigung vieler Maßnahmen, aus temporär wurde dauerhaft. Das schrittweise Vorgehen machten sich andere Städte zum Vorbild, etwa Paris. Die Regeln zum Einrichten von Pop-Up-Radwegen wurden gleich 2020 ins Französische übersetzt.

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Globaler Wissensaustausch

Corona, das sei aus Sicht der Verkehrsplanung die „Stunde der Kommunen“ gewesen, man habe sich international per Videokonferenzen ausgetauscht, und voneinander gelernt. Die Idee der Pop-Up-Radwege stamme ursprünglich aus Kolumbien: „In Bogota gibt es schon lange die ‚Ciclovias‘, temporär an Wochenenden und Feiertagen eingerichtete Radwege.“

So hat auch Berlin vom globalen Wissensaustausch profitiert, und die Idee zugleich weiterentwickelt. Für Weisbrich geht es bei der Neuverteilung des Stadtraums nicht nur um praktizierten Klimaschutz, sondern auch um Flächengerechtigkeit: „43 Prozent der Ber­li­ne­r:in­nen haben ja überhaupt kein Auto.“ Fast schwärmerisch spricht er vom „öffentlichen Raum als Ort der Sehnsucht“.

Allzu oft ist das natürlich noch eine unerfüllte Sehnsucht. Felix Weisbrich plädiert deswegen für ein generelles Umdenken: „In der Verkehrsplanung wird oft sehr technisch gedacht, so als würde Wasser durch eine Leitung fließen. Es sind aber Menschen, die jeden Tag aufs Neue eine Entscheidung treffen, ob sie mit dem Auto fahren oder mit dem Rad oder zu Fuß gehen.“ Und da greife eben die Verkehrslenkung ein: „Wir handeln kurzfristig, aber bewirken damit eine nachhaltige, langfristige Verhaltensänderung.“

Die „pandemieresiliente Infrastruktur“ des Verkehrsplaners hat also durchaus einiges gemein mit der nachhaltigen Forstwirtschaft – es geht darum, Lebensräume für die Zukunft zu gestalten. Dabei setzt Weisbrich auf das aktive Mitwirken der Menschen in den Kiezen. Das zeigt sich dann etwa bei zahlreichen Initiativen, die sich für die dauerhafte Befreiung vom Durchgangsverkehr einsetzen. Sogar die Zahnräder der Berliner Verwaltung scheinen inzwischen besser ineinanderzugreifen: „Das Amt ist aufgewacht, es gibt viele Leute, die etwas verändern wollen“, freut sich Weisbrich.

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