piwik no script img

Panische Flucht aus Srebrenica

■ Truppen der bosnischen Serben rückten trotz Nato-Luftangriffen ins Zentrum der Stadt vor

Sarajevo/Genf (dpa/taz) – Die bosnischen Serben sind gestern nachmittag ins Zentrum der UN-Schutzzone Srebrenica im Osten Bosniens vorgedrungen. Daran konnte sie auch ein Angriff von Nato- Kampfflugzeugen nicht hindern. Vertreter der UN-Führung in Zagreb und des Flüchtlingshilfswerks UNHCR sprachen übereinstimmend von einer „Einnahme der Stadt“. Das Einrücken der Serben in das Zentrum der Enklave löste eine Massenflucht der rund 40.000 Einwohner aus.

Gegen 14.30 Uhr hatten niederländische Kampfbomber einen Angriff zur Unterstützung der in Bedrängnis geratenen UN-Soldaten im Süden der Stadt geflogen. Dabei wurden zwei Kampfwagen zerstört, die übrigen Panzer drehten daraufhin ab. „Aber das Ganze scheint wohl zu spät gekommen zu sein“, sagte ein Sprecher des UN-Hauptquartiers in Zagreb. Auch der bosnische Regierungschef Haris Silajdžić wertete die Einsätze der Nato und die Reaktion der UN auf die Bedrohung von Srebrenica als „viel zu spät“. Er warf der UN- Führung vor, „um mindestens drei Tage zu spät“ reagiert zu haben.

Nach Angaben der UNO in Sarajevo zog sich auch das niederländische Bataillon aus seinen Abwehrstellungen zurück. Die Gesamtstärke der in Srebrenica eingedrungenen serbischen Truppen wurde von der UN-Führung auf knapp 1.500 Soldaten geschätzt.

Die rund 40.000 Zivilisten flohen nach Erkenntnissen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR in zwei großen Gruppen vor den heranrückenden serbischen Truppen. „Knapp 20.000 sind in nördlicher Richtung durch die Wälder unterwegs, während die andere Gruppe in den UN-Stützpunkten in Srebrenica selbst Schutz sucht“, sagte eine UNHCR-Sprecherin in Zagreb. Das UNHCR bereitete sich unterdessen auf eine schnelle Hilfsaktion vor. „Ob Evakuierung oder Hilfe in anderer Form, das wissen wir noch nicht, dazu ist die Lage im Moment noch zu unübersichtlich.“

Die Enklave Srebrenica war im April 1993, unmittelbar vor ihrem damals drohenden Fall, zur UN-Schutzzone erklärt worden. Auf Drängen der serbischen Militärführung wurde die Schutzzone zudem entmilitarisiert — die UN nahm den Großteil der Waffen der Muslime unter ihre Kontrolle.

Trotz der erneuten Nato-Luftangriffe scheint die UNO grundsätzlich nicht bereit, ihr Engagement in Bosnien zu verstärken. Statt dessen gehen Beobachter davon aus, daß der Abzug aus den UN-Schutzzonen Sebrenica, Goražde und Zepa immer näher rückt. Am Wochenende hatten die Generäle Smith und Janvier mit UNO- Generalsekretär Butros Ghali, seinem Sonderbeauftragten für Ex-Jugoslawien, Yasushi Akashi, sowie UNO-Vermittler Thorvald Stoltenberg ausführlich über die Lage in Bosnien diskutiert. Hauptgegenstand der Beratungen war der Rückzug der Blauhelme aus Bosnien. Nach Angaben von Teilnehmern wurde diese Option „ernsthafter erwogen als je zuvor“. Die UNO ist in einem Dilemma. Die 12.500 Soldaten der sogenannten Eingreiftruppe werden nicht vor Mitte August an ihren vorgesehenen Einsatzorten stationiert sein. Erst dann könnte sich die Unprofor den Angriffen der Serben auf die UNO- Schutzzonen mit Aussicht auf Erfolg entgegenstellen. Bis dahin bleibt nur die umstrittene Option auf Nato-Luftangriffe. Die Entscheidung über einen Unprofor- Abzug muß nach den Planungen bei UNO und Nato aber bis Anfang August fallen, damit er rechtzeitig vor Einbruch des nächsten Winters abgewickelt werden kann. azu Seiten 2 und 10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen