piwik no script img

PanikmacheDer Sauger des Grauens

Wegen eines entwendeten Haushaltsgeräts schlugen Bremer Polizei und Medien Alarm: Hautkontakt mit dem Schreckens-Teil berge das Risiko einer HIV-Infektion.

Bloß nicht anfassen: Man könnte sich ja mit HI-Viren aus dem gestohlenen Staubsauger anstecken. Bild: dpa

Ein gestohlener Handstaubsauger gilt gemeinhin nicht als schlagzeilenträchtig. Außer in Bremen. Da schaffte es eine Polizeimeldung über das entwendete Haushaltsgerät am Mittwoch bis in die Top-Meldungen. Es gehörte einem Medizintechniker. Und weil er das handelsübliche Gerät beruflich nutzt, um medizinisches Gerät zu reinigen, nimmt es mitunter auch humangenetisches Material wie Reste von getrocknetem Blut und Urin auf. Radio Bremen machte daraus einen Sauger, der "die Immunschwächekrankheit Aids auslösen kann", der Weser Kurier ein "mit HI-Viren verunreinigtes Gerät". Beide warnten unverzüglich vor Hautkontakt.

"Das ist gnadenlos übertrieben", sagt Hans-Jürgen Stellbrück. Stellbrück ist wissenschaftlicher Sekretär der Deutschen Aids-Gesellschaft und Professor am Infektionsmedizinischen Centrum Hamburg. "So etwas passt in die Stimmung der Schweinegrippe-Zeit." In eingetrockneten Körperflüssigkeiten gehe der Hi-Virus innerhalb weniger Stunden zugrunde, erklärt Stellbrück. Eine Infektionsgefahr durch bloßen Hautkontakt sehe er nicht. Zudem gebe es strenge Sicherheitsvorschriften für medizinisches Gerät. Ein hoch infektiöser Sauger dürfe gar nicht mit einem Privatauto transportiert werden.

"Wer bei dem Sauger ein Risiko sieht, sollte seinen Informationsstand über HIV aktualisieren", sagt Stellbrück. "Gerade hier werden die Risiken oft größer eingeschätzt als sie sind."

Beispielsweise durch die Bremer Polizei. "Wir haben die Aussage des Besitzers als glaubhaft eingeschätzt und so weitergegeben", erklärte gestern Polizeisprecher Ronald Walther. Er habe Eile gesehen und keine Einschätzung zur tatsächlichen Gefährlichkeit des Saugers eingeholt. "Es gab aus unserer Sicht keine Zeit, noch ein Gutachten anzufordern", sagt Walther.

Die JournalistInnen aber hätten sich Zeit nehmen sollen, die Meldung zu prüfen, findet Edda Kremer, Referentin beim Deutschen Presserat. Der ist das journalistische Selbstkontrollorgan in Deutschland. "Es ist grenzwertig, so etwas ohne eigene Recherche zu übernehmen", sagt sie. "Auch wenn die Meldung von der Polizei stammt."

Journalistische Aufgaben seien Wertung, Platzierung und Einordnung von Meldungen. "Gerade bei schwierigen medizinischen Themen wie HIV ist man als Journalist besonders in der Sorgfaltspflicht", sagt Kremer. "Da sollte man überlegen, ob eine Meldung Panikmache ist und wie man sie für den Leser einordnen kann."

Der Expertenrat hätte auch auf tatsächliche Gefahren des Saugers hinweisen können: Der Durchfallerreger Noro etwa bleibe auch in getrockneten Sekreten wesentlich länger infektiös als HI-Viren, erklärt Stellbrück. Er gehe jedoch davon aus, "dass da jemand auf ungewöhnliche Weise seinen gestohlenen Sauger zurückkriegen wollte".

Die Bremer Polizei meldete bereits am Mittwochmittag Entwarnung: Der Handstaubsauger sei in Tatortnähe in einem Vorgarten gefunden worden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • TF
    Thomas Fenkl

    Das HIV ist außerhalb des Körpers innerhalb weniger Minuten (nicht Stunden) deaktiviert, außerdem ist es nötig, dass infizierte Körperflüssigkeiten in eine Wunde hineingerieben werden (rein theoretisch könnte Mensch gefahrlos in einer Wanne infizierten Blutes baden).

     

    Nur sehr verwirrte Geister würden auf den Gedanken kommen, den Inhalt eines Staubsaugerbeutels in eine offene Wunde hinein zu reiben und selbst dann würden sie sich sicherlich wesentlich interessantere Infektionen zuziehen, als HIV.

     

    Nicht nur bei der Bremer Polizei scheint nach wie vor hartnäckig Schulungsbedarf zu bestehen, was Übertragungsmöglichkeiten von HIV/Aids angeht: Es ist schier unmöglich, HIV/Aids durch Beissen oder Spucken zu übertragen.

     

    Auch die oft zitierte "Aids-Spritze" mit der Personen bedroht oder Tankstellen überfallen werden, funktioniert aus mehreren Gründen nicht:

     

    1. Deaktiviert sich, wie schon gesagt, das HIV an der Luft innerhalb kurzer Zeit

    2. Gerinnt Blut in einer Kanüle und verstopft diese, so dass ein Einspritzen in einen anderen Körper gar nicht möglich ist

     

    Für alle, die es auch nach über 25 Jahren Erfahrung mit HIV/Aids nicht glauben mögen, wird die Aids Hilfe Bremen e.V. demnächst medienwirksam Virenpatschen zum Abklopfen von Bettlaken und Klobrillen zur Verfügung stellen oder - sollte sich der Bremer Senat vernünftigerweise zur Rücknahme der absurden Mittelstreichung von 2003 entschließen - vermehrt Beratungen, Schulungen und Aufklärungsveranstaltungen anbieten, wo es besonders nötig scheint (dringendst begonnen mit der Bremer Polizei), um dem alltäglichen Wahnsinn zumindest partiell Einhalt zu gebieten.