Pampuchs Tagebuch: Was Kühe und AOL gemeinsam haben
Es ist gar nicht so leicht, nach einer Woche Tiroler Bergwelt wieder in die moderne Welt hineinzufinden. Zwar haben sie wie blöd Schneekanonen aufgestellt, dass man den Kontakt zur Zivilisation nur ja nicht verliert. Doch bei den Bauersleuten meines Vertrauens geht es Gott sei Dank noch immer seinen geruhsamen Gang.
Höhepunkte meines Kurzurlaubs waren deshalb auch nicht die Kitzbüheler Pisten, sondern mehrstündige Aufenthalte im Stall. Dabei schloss ich Freundschaft mit dem Schweinderl Susi, dessen zartes Fleisch – ich wage kaum daran zu denken – binnen Jahresfrist den Weg alles Irdischen gehen und sich zum überirdisch guten Tiroler Speck transsubstituieren wird.
Und ich durfte – rares Vergnügen des Städters – dem Jungstier Maxl zur Hand gehen und ihm in Eis und Schnee eine „Stiergrube“ hacken. In die bugsierten wir die gerade „willige“, jedoch hochgewachsene Kuh Jessica, um Maxl die Gelegenheit zu geben, sie bequem zu decken.
Wo und wann hat unsereiner schon die Chance, so sehr an der Natur und ihrem Wirken teilzuhaben? In dieser Tiroler Nacht zu Füßen des Wilden Kaisers ging es mir wieder einmal durch den Sinn, wie tief doch der Graben ist, der uns rundum technisierten Metropolenheinis von der lebensklugen Landbevölkerung trennt, die immer Rat weiß.
Ganz im Gegenteil die Moderne: Sie weiß nie Rat, sie biedert sich an, schwatzt uns was auf und stürzt uns ein ums andere Mal in Rast- und Ratlosigkeit.
Wieder in München, wurde ich mit zwei ganzseitigen Anzeigen in der Süddeutschen Zeitung konfrontiert: „Schnelle Weihnachten!“, trompetet da AOL, um den „Turbo fürs Internet“, AOL 5.0, unter den Weihnachtsbaum zu schieben. Immerhin haben sie jetzt den Internet Explorer serienmäßig eingebaut (was ich vor ein paar Kolumnen angefordert hatte – schnell reagiert, Jungs!). Ansonsten weiß ich nicht recht, was uns 5.0 an wirklich Neuem bringt. Vermutlich wird es wieder mal im Wesentlichen auf ein neues Design herauslaufen. Das aber heißt ja eigentlich nur, dass das Alte nicht besonders gelungen war. (Der Tiroler Speck sieht seit ewigen Zeiten so aus, wie er aussieht).
Ein paar Seiten weiter in der SZ kriegt AOL seinen Speck weg – ebenfalls ganzseitig: „Ist das alles, was AOL zu Freenet einfällt?“, heißt es da, und abgebildet wird eine Klageschrift der AOL Bertelsmann Online GmbH gegen die freenet.de AG. Die Genossen von freenet kämpfen zu Weihnachten, so sagen sie, für unsere Freiheit im Internet. „Kommen Sie zu freenet!“ locken sie verführerisch. Und dem kleingedruckten Parteiprogramm entnehme ich, dass die Freiheit 5 Pf./Min. kostet und sonst nichts. Man müsse sich nur über DFÜ und die freenet-Nummer einwählen. Ich habe versucht reinzukommen, aber es hat einfach nicht geklappt. Immer wurde die „Verbindung zum angewählten Computer getrennt“. Und keiner konnte mir helfen.
Reinzukommen ist in der Welt der Provider nämlich ein mindestens ebenso großes Problem wie in der Rinderzucht. (Sonst müsste AOL ja auch nicht andauernd mit Boris Beckers Lustschrei: „Ich bin drin!“ werben.) Könnte es sein, dass jeder Provider eine Art Stiergrube hat, die nur für seinen Zugang passt? Brauchte ich für freenet eine eigene Stiergrube? Seit ich AOL habe, bin ich jedenfalls noch nie in irgendein DFÜ-Netz reingekommen. Darum fordere ich zu Weihnachten freie Stiergruben für alle. Wäre doch ebenfalls ein lohnender Kampf für die freenet-Guerilla. Der Maxl darf in meiner Grube auch den ganzen Kuhstall erfreuen. Und wir modernen Menschen wollen doch, was Freiheit angeht, dem Maxl nicht nachstehen.
Thomas Pampuch
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