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Palermo: Die Paten übernehmen wieder

Die Verurteilungen im Mafia-Prozeß hatten nicht die erhoffte Wirkung / Mafiaboss Luciano Liggio stellt seine Bilder aus – für eine Gegenausstellung fand sich keine Galerie / Andere Mafiosi werden auf unangenehmere Weise sichtbar / Ständig wieder Tote in Palermos Straßen  ■ Aus Palermo Werner Raith

Wenn Giovanna Terranova, Witwe des 1979 ermordeten Richters Cesare Terranova, aus ihrem Haus tritt und auf die nahe Via della liberta blickt, möchte sie sich „am liebsten übergeben“; der Jesuitenpater Bartolomeo Sorge vom Antimafiazentrum „Pedro Arrupe“ mußte „schon zweimal hingucken, ehe ich das glauben konnte“, und selbst die derzeit nichtmafiose Stadtratskoalition aus Christdemokraten, Linksunabhängigen und Grünen brauchte Tage, bis ihr die Sprache wiederkam: Quer über die Einkaufsstraße Via Maquedas und über dem Corso Vittorio Emanuele hängen seit Januarbeginn Riesentransparente, an jeder zweiten Häuserwand kleben Plakate, in jeder Gasse fliegen Handzettel herum, allesamt mit balkendickem Druck jenes Namen, der die 700.000-Einwohner-Stadt seit drei Jahrzehnten in Angst und Schrecken versetzt: Luciano Liggio, der Mann aus Corleone, den die Justiz für den Oberboss und Hauptverantwortlichen für Dutzende und Aberdutzende von Morden und Gewalttaten hält. Kaum war der „Maxi“-Prozeß beendet (in dem Liggio nur deshalb nicht verureilt wurde, weil sich einige Fälle mit Verfahren überkreuzen, in denen er bereits lebenslänglich bekommen hat), da scheint der unverwüstliche Phönix erneut ihn alter Frische aufzuerstehen.

Ein Coup ohnegleichen. Während die Öffentlichkeit, die Justiz, die Polizei noch das Urteil im Superprozeß gegen 462 Angeklagte – 19 mal lebenslänglich und über 2.500 Jahre Zuchthaus – als „Meilenstein im Kampf gegen die Mafia“ feiern, dominiert der Name, der faktisch für „Mafia“ schlechthin steht, so mächtig wie noch nie in der Inselhaupstadt. Die schlagende Idee Licios zur Wiedereroberung Palermos: eine Ausstellung seiner im Gefängnis gemalten Naiv-Bilder (Stilleben sowie Dorf- und Stadtbilder aus seiner Heimat Corleone südlich von Palermo) mit der Bestimmung, den Erlös für ein Dialyse- Zentrum zu verwenden. So recht eine Aktion nach dem Geschmack der „ehrenwerten Gesellschaft, die sich traditionell als „Sozialkorrektiv“ gesehen hat, als Schattenmacht, die da „einspringt“, wo der Staat versagt. Ein Image, das die „Paten“ offenbar gerne wieder reaktivieren wollen.

So hat Liggio „ganz Italien freundlich eingeladen“, beim Kauf seiner Bilder „ nicht nur an die künstlerische Qualität zu denken, sondern auch an den guten Zweck, dem sie dienen. Der Aufruf war unnötig. Kaum war bekannt, daß die Galleria Marino in der Via Dante die „Vernissage“ des unumstrittenen Bosses durchführen würde, standen die kleinen und mittleren Chargen der Malavita Palermos, aber auch zahllose Neureiche und vom Kitzel eines Bildes aus Gangsterhand Angeregte für die gut vierzig Werke Schlange. Innerhalb weniger Stunden waren alle Werke weg – das billigste zu umgerechnet 20.000 DM, das teuerste offiziell zu mehr als 60.000, unterderhand soll aber noch ein „Zuschuß“ von gut dem Doppelten dazugekommen sein.

Palermo nach dem „Maxi“- Prozeß: Statt daß die Verurteilung ganzer Clans, der Handlanger wie der Killer und – bisher einmalig – auch der Auftraggeber aus dem legendären „Beschlußorgan“ der Clan-Oberhäupter (“Cupola“) Erleichterung ausgelöst hätte, regiert in der Stadt nun noch mehr Angst, noch mehr Verschüchterung, noch mehr Mißtrauen als je zuvor. „Ich sage dir kein Wort mehr“, faucht mich der Espressobereiter der „Bar Termini“ an, mit dem ich mich bislang ohne Schwierigkeiten über die Mala vita Siziliens unterhalten konnte, und selbst Antimafia-Fahnder wie der Staatsaanwalt Giuseppe Ayala können nur noch den Kopf schütteln, „wie innerhalb weniger Tage der offenkundige Erfolg einer jahrzehntelangen Arbeit sich ins Gegenteil zu verkehren droht.“ Nahezu jeden Tag finden die Palermitaner nun wieder Tote sozusagen vor ihren Haustüren, meist umgeschossen und „abgelegt“ mitten in den dichtestbewohnten Zentren: Wir sind da, noch immer oder schon wieder, verkünden die Banden den Palermitanern. Mancher Carabiniere hält das „für einen verzweifelten Kampf ums Überleben der Clans“ – doch seinen Namen will der Interpret lieber nicht genannt wissen. Andere, wie der linksunabhängige stellvertretende Bürgermeister Aldo Rizzo – selbst viele Jahre Staatsanwalt – vermuten eher, daß „neue Gruppen nun die Märkte in altbewährter Manier untereinander ausschießen.“ Tatsache jedenfalls ist, daß es seit Prozeßende Mitte Dezember in Palermo und seinem Umland schon 20 Morde gegeben hat. In Palermos Corso dei mille, dem Reich der als besonders blutrünstig bekannten Familie Marchese, hat sich mittlerweile der Verkehr auf ein Minimum reduziert, obwohl es sich um eine der wichtigsten Nordwestverbindungen der Stadt handelt – jederzeit erwartet man hier Anschläge, sei es neu eindringender Banden, sei es gegen sie. Geschäftsleute in der gesamten Innenstadt, wie etwa der Buchantiquar Giangiacomo in der Via Roma, brummelt hinter vorgehaltener Hand, daß man „überhaupt nicht mehr weiß, an wen man zahlen muß, darf, kann“. Preßgelder, die bisher an „seine“ Zonenbosse Lo Presti gegangen waren, werden nun von Unbekannten eingefordert – und keiner weiß, ob es sich dabei wirklich um „Neue“ handelt oder nur um Proben der alten Gangs, inwieweit ihre Herrschaft noch steht.

Wie überhaupt die Restaurierung alter Branchen von Entführung über organisierten Klau von vollbeladenen Fernlastern und Erpressung bis zum Absahnen bei öffentlichen Bauaufträgen wieder schwer in Mode kommt. Wobei die Ermittler sich noch nicht klar sind, ob es sich dabei schlicht um ein „Ausweichen“ angesichts mancher prozeßbedingter Störungen im ehemals florierenden Drogenschmuggel handelt oder um den Neuaufbau mafioser Strukturen von unten her.

Den einfachen Palermitanern nützen solche Spezialisten-Überlegungen wenig. Für sie zählt, daß man glaubte, den „Kraken“ mit dem Prozeß zumindest um ein paar Arme weniger gefährlich gemacht zu haben – und daß man nun stattdessen bei Schritt und Tritt ausgerechnet vom Namen des Oberbosses Liggio verfolgt wird. „Weit haben wir es gebracht“, schaudert es da meinen Buch-Antiquar in der Via Roma, „abgehalftert ist der Liggio – aber der Stadt kann er sich doch noch ohne irgendwelchen Widerstand bemächtigen.“ Da hat er wohl recht. Den Antimafiakämpfern ist jedenfalls bisher noch nichts gegen die Show des alten Bosses eingefallen. Die Idee einer Gegenausstellung mit Bildern von der Mafia-Brutalität mußte man vorderhand wieder fallenlassen – es mangelt an einer Galerie, die bereit wäre, die Aktion durchzuführen.

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