Palästinensischer Journalist über Gewalt in Nahost: "Die Hamas will verhandeln"
Der palästinensische Journalist und Kolumnist Talal Okal glaubt, dass die Brutalität der Machtausübung Hamas viele Sympathien gekostet hat. An eine baldige Aussöhnung mit Fatah glaubt er nicht.
taz: Herr Okal, immer wieder flammt die Gewalt im Gazastreifen auf. Warum bekämpfen sich die Palästinenser gegenseitig, und warum scheint es keinen Ausweg zu geben?
Talal Okal: Die Hamas hat einen Plan. Sie versucht, den Gazastreifen vollständig zu dominieren, und sie will dann auf der Basis einer sehr starken Position die Verhandlungen mit der Fatah aufnehmen. Vorläufig hat sie nicht viel erreicht. Die Israelis hatten im Rahmen der Einigung über den Waffenstillstand mit der Hamas im Gazastreifen zugesagt, die Grenzen zu öffnen. Das ist nicht passiert. Die Hamas wollte außerdem einen Häftlingsaustausch für den entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit aushandeln. Auch das hat sie nicht erreicht.
Weil Israel der Preis zu hoch ist?
Israel hat vorläufig nur die Entlassung von 45 Häftlinge zugesagt und signalisiert, dass man sich eventuell auf 70 einigen könnte. Die Hamas will ein Vielfaches dessen. Die Islamisten wünschen sich einen Sieg, eine Show, ähnlich wie es sie in Beirut gab nach dem Gefangenenaustausch mit der libanesischen Hisbollah. Davon ist die Hamas heute weit entfernt. In der Politik ist es nicht ungewöhnlich, eine neue Krise zu schaffen, wenn man in der bisherigen feststeckt. Die Auseinandersetzungen mit der Fatah sind aus diesem Grund provoziert worden.
Wäre es nicht klüger gewesen, eine Krise mit Israel oder mit Ägypten zu provozieren, anstatt mit der Fatah, mit der man sich aussöhnen will?
Auch das könnte durchaus noch passieren. Erst jüngst sind wieder Raketen auf Israel abgeschossen worden. Außerdem wird offen davon gesprochen, in absehbarer Zeit die Grenze nach Ägypten erneut zu durchbrechen.
Glauben Sie, dass es noch eine Chance für eine Versöhnung unter den Palästinensern und die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit gibt?
Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Wir brauchen die Einheit, um eine gemeinsame Identität und einen Staat zu haben. Beide Bewegungen haben versagt. Die Sache ist so schwierig, weil der Konflikt auch von außen mitbeeinflusst wird. Wir sind hier nicht allein. Die Israelis spielen eine große Rolle. Sie versuchen, und das tun sie sehr erfolgreich, die Spaltung unter den Palästinensern zu vertiefen. Sie sind so großzügig und sagen: "Ihr wollt einen Staat? Wir geben euch zwei oder drei."
Könnte es denn so kommen?
Es wird keinen anderen Frieden geben als in Form von zwei Staaten, einen für Israel und einen für die Palästinenser.
Die Ägypter vermitteln zwischen Fatah und Hamas, sind aber nicht sehr erfolgreich. Warum tun sie sich so schwer?
Glauben Sie, dass die Ägypter glücklich sind über dieses islamische Modell in Gaza? Natürlich nicht. Sie versuchen, der Hamas Zeit zu geben, damit sie ihr wahres Gesicht zeigt. Die jüngste Krise im Gazastreifen hat die Hamas als sehr brutales Regime entlarvt, das foltert und das eigene Volk unter Druck setzt. Die Leute in Ägypten schauen sich das an und werden sagen: Wenn ein islamisches Regime so aussieht wie das der Hamas in Gaza, dann wollen wir das nicht.
Wie schätzen Sie das heutige Kräfteverhältnis ein?
Ich glaube, dass die Fatah heute in Gaza populärer ist als die Hamas. Die Hamas hat die Wahlen gewonnen, weil die Fatah scheiterte, vor allem aufgrund der Korruption. Was heute passiert, ist genau das Umgekehrte: Die Fatah gewinnt an Popularität, weil die Hamas Fehler macht, Folter und Korruption. Es ist die gleiche Korruption wie in Zeiten der Fatah, nur mit einem anderen Gesicht. Die Mächtigen fahren in den großen Autos.
Es gibt neue Berichte über Taliban- oder Al-Qaida-ähnliche Gruppierungen im Gazastreifen, die Christen und Ausländer bedrohen und Internet-Cafés in Brand stecken. Wie stark sind die Gruppierungen wirklich?
Sie sind bewaffnet, aber zurzeit noch nicht stark genug, um es mit der Hamas aufzunehmen. Nach der Krise mit der Khiles-Familie [Fatah-naher Clan, der nach den letzten Unruhen nach Israel und ins Westjordanland geflohen ist, d. Red.] bleibt vor allem ein Problem: die Dormusch-Familie [extremistischer Clan, der für die Entführung des BBC-Korrespondenten Alan Johnston verantwortlich gemacht wurde, d. Red.]. Ich vermute, dass die nächste von der Hamas provozierte Krise auf die Dormusch-Familie abzielen wird, um diesen mächtigen Clan ebenfalls auszuschalten.
Deren Mitglieder sich dann, wie die Khiles-Familie, zu den Israelis flüchten?
Der Schin Beth, der israelische Inlandsgeheimdienst, würde sich sicher besonders freuen, sie in Empfang nehmen zu können.
INTERVIEW: SUSANNE KNAUL
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