Palästinensische Rennfahrerin Noor Daoud: Keiner kann sie stoppen

Viele Palästinenserinnen in ihrem Alter denken übers Heiraten nach. Noor Daoud über ein neues Auto. Erst kürzlich gewann sie ein israelisches Autorennen.

Die meisten Männer staunen, wenn Noor den Helm abnimmt. Bild: Michal Fattal

RAMALLAH taz | Hinter der israelischen Sperranlage im Westjordanland gibt es nur zwei Richtungen. Links führt es scheinbar ins Nirgendwo, rechts in die Ausläufer der Palästinenserstadt Ramallah. Von dort kommt ein großer Jeep angebraust, darin eine von Palästinas erfolgreichsten Rennfahrerinnen: Noor Daoud, 22 Jahre alt, Palästinenserin, diesjährige Gewinnerin des ersten israelischen Formel-3-Autorennens für Frauen.

Es war eine Zweitageveranstaltung in der Wüste von Eilat am Roten Meer. Ein Rennen im Stil des Grand Prix - zwar kein offizielles, aber nichtsdestotrotz: Noch nie haben Palästinenser an einem israelischen Rennen teilgenommen und auch noch gewonnen. Sie ist die erste.

In der Nobelboutique ihrer Mutter auf den edleren Vorstadthügeln von Ramallah zeigt Noor die Ausgabe einer palästinensischen Zeitung mit Fotos von ihr. "Die sind stolz auf mich", sagt sie. "Jeder hier ist stolz auf mich und unterstützt mich." Aber warum war sie die einzige Palästinenserin im Rennen? Schließlich gibt es doch ein ganzes Team weiblicher Rennfahrerinnen im Westjordanland, das sich Speed Sisters nennt.

"Die, die sich beworben haben, haben die Tests nicht bestanden", sagt Noor. Andere konnten nicht teilnehmen, weil sie keinen israelischen Personalausweis haben, so wie Noor, die in Ostjerusalem gemeldet ist. "Und außerdem …", sie zögert etwas, "gibt es die Speed Sisters eigentlich nicht mehr."

Auf Facebook zermobbt

Das kommt etwas plötzlich, schließlich sind die sechs - neben Noor Betty Saadeh, Mona Ennab, Maysoon Jayyusi, Marah Zahalka und Suna Aweida - recht präsent in der internationalen Presse. Das Frauenteam wird vom britischen Konsulat finanziell unterstützt, einen Film über sie soll es auch bald geben. Und erfolgreich sind sie auch: Nicht nur Noor, auch Teamkollegin Betty Saadeh hat bereits diverse Rennen gewonnen.

Was ist also innerhalb der letzten Wochen mit den Speed Sisters passiert? "Es gab Probleme …", weicht Noor aus, bis es plötzlich aus ihr herausplatzt: Sie sei von zwei ihrer Exkolleginnen auf Facebook gemobbt worden, weil sie in Israel gefahren ist. Als die beiden dann öffentlich über die Palästinensische Motorsportvereinigung und deren Vorsitzenden Chaled Qadura lästerten, sah der sich gezwungen, gerichtlich gegen sie vorzugehen.

"Es ist nicht so, dass es das Team nicht mehr gibt", sagte er. "Möglicherweise trennen wir uns von einer Fahrerin. Wir wollten es dabei belassen sie für ein Jahr zu sperren, aber sie hat entschieden, ganz aufzuhören. Dafür gibt es aber drei neue Fahrerinnen, zusätzlich zu den verbleibenden vier."

Zwischen Neid und Verrat

Für Noor ist es einfach eine neue Herausforderung, in Israel gegen Israelis zu fahren, sagt sie. Aber Kolleginnen, die nicht dieselben Privilegien genießen, könnten das als Verrat ansehen. Letztendlich habe das aber weniger mit der israelischen Besetzung der Palästinensergebiete zu tun, sagt Noor: "Es ist purer Neid."

Die Geschichte der Speed Sisters - ein Stück weit repräsentiert sie, was aus Palästina geworden ist: ein geteiltes und durch Siedlungen und Checkpoints zerfasertes Land mit versprengten Städten und Menschen, deren Lebensstile, Bildung und Wohlstand häufig von ihrem Ausweis abhängen.

Noor hat einen amerikanischen Pass und ist schon ziemlich herumgekommen. Sie war auf einem Schweizer Internat und hat in Miami Sport studiert. Ihren Vater kennt sie nicht. Zwar schlägt ihr Herz jetzt in erster Linie für den Rennsport, aber sie war auch schon im olympischen Schwimmerinnenteam und in der Fußballnationalmannschaft. Für Palästina und für Israel. Was dazu geführt hat, dass sie nun für keines der Teams mehr spielt.

"Sie haben gestaunt, als meine Mähne zum Vorschein kam"

Von der Terrasse ihres schicken Hauses aus kann man die Skyline von Tel Aviv sehen. Drei Etagen tiefer, in der Garage, steht ihr 1998er BMW, den sie vollends entkernt hat, bis auf Lenkrad, Fahrersitz und Gangschaltung. Der Wagen hat Hinterradantrieb. "Betty hat Vorderradantrieb, darum ist sie schneller", sagt Noor und findet, jetzt, nach ihrem Erfolg in Eilat, sei endlich ein neuer Wagen fällig. Schließlich will sie auch internationale Erfolge feiern. "Und wenn ich sage, ich will ein neues Auto, werde ich auch ein neues Auto bekommen. Und wenn ich mir wie in Eilat vornehme zu gewinnen, dann gewinne ich."

Das Wasser des BMWs läuft ständig aus, deswegen muss Noor dauernd Wasser aus zweckentfremdeten 2-Liter-Colaflaschen nachfüllen. Weder sie noch ein befreundeter Mechaniker konnten den Schaden selbst beheben, also muss der Wagen in die Werkstatt. Als ein Mann in einem Auto vorbeifährt und Noor im Rennanzug an ihrem Wagen lehnen sieht, gibt er Gas und schleudert seinen Wagen um die kleine Wegkurve. Imponiergehabe. "Sein Wagen ist wahrlich nicht dafür gedacht", sagt Noor kopfschüttelnd.

Führen sich Männer immer so auf, wenn sie eine Frau am Rennsteuer sehen? "Die meisten männlichen Rennfahrer waren erst mal skeptisch. Sie haben mir beim Rumkurven zugesehen und gestaunt, aber als ich den Helm abgenommen habe und meine Mähne zum Vorschein kam, da konnten sie es kaum fassen", sagt sie. Inzwischen würde aber bei Rennen nach ihr gefragt: "Wo ist denn die mit dem schwarzen BMW?"

Schleuderkurven ohne Training

Trainieren würde sie nämlich eigentlich gar nicht, sagt Noor. "Ich fahre und improvisiere. Dort hinten in der Nähe des Checkpoints und des Gefängnisses fahren wir manchmal ein paar Runden." Sie zeigt hinüber zum Ofergefängnis, einem der größten im Westjordanland, das anlässlich der vielen Verhaftungen nach der zweiten Intifada von den Israelis gebaut wurde.

Die Schleuderkurven, die Noor vor diesem Bau hinlegt, präsentiert sie auch bei Rallys Tausenden von Fans in Ramallah, Jericho oder Bethlehem. Wenn Noor sagt, "wir fahren dort manchmal", meint sie immer Betty und sich. Zusammen mit den männlichen Rennfahrern.

Demnächst könnten sie alle, männliche wie weibliche Fahrer, auch einen richtigen Trainingsplatz bekommen. Denn der palästinensische Präsident Abbas habe 3.000 Quadratmeter in Jericho als Rennstrecke freigegeben, sagt der Motorsportvorsitzende Qadura - jetzt müsse er noch finanzielle Unterstützer für das Projekt in anderen arabischen Ländern und in Europa finden.

Gegen die Einsamkeit

Beim Verlassen der riesigen Wohnung im französischen Landhausstil, die sie allein mit ihrer Mutter bewohnt, geht sie an einem Klavier vorbei. "Ich habe sechs Jahre lang gespielt, aber fast alles vergessen. Bis auf einen Song, weil ich ihn so oft gespielt habe - den aus dem Film ,Titanic'. Also spiele ich ihn manchmal noch, wenn mir langweilig ist." Das kann ja nicht sehr häufig sein, bei all dem Sport und Freunden und Fitness-Training? "Ich fühle mich oft einsam. Ich habe nicht viele Freunde. Ein paar Israelis und Betty. Hier kann man nicht einfach mit denen befreundet sein, die man mag."

Betty Saadeh ist nicht nur Noors Rennfahrerkollegin, sondern auch ihre beste Freundin in Ramallah. Zehn Jahre älter als Noor, geschieden, Mutter von Zwillingen. Und hat doch vier von fünf Rennen im Westjordanland 2011 gewonnen. Plus vier Siege in Jordanien.

Als gebürtige Mexikanerin arbeitet Betty im mexikanischen Konsulat in Ramallah. Weil die Blondine stets mit perfekt gezogenem Lippenstift und manikürten Fingernägeln auftritt, wird sie von Männern an den Rennorten manchmal nicht ernst genommen. Ein großer Fehler, sagt ihre Freundin Noor.

Und was ist mit Noor selbst? Denken die meisten muslimischen Mädchen in ihrem Alter nicht langsam übers Heiraten nach? "Ja. Das könnte nicht weiter entfernt von meinem Leben sein. Ich glaube überhaupt nicht an die Ehe."

Mit 200 geblitzt

Deswegen fährt sie so oft es geht nach Tel Aviv, um dort ihre Freunde zu treffen. "Bei meinem Tempo brauche ich nur 30 Minuten", behauptet Noor. Aber diese Tage sind vorerst vorbei, denn sie ist ihren Führerschein los. Weil sie auf der Autobahn mit 200 Stundenkilometern geblitzt wurde.

Die Musik hatte sie so laut aufgedreht, dass sie weder die Lautsprecherdurchsagen noch die Sirene der fünf Polizeiwagen hörte, die sie verfolgten. Keiner konnte sie stoppen. Als sie schließlich begriffen hatte und rechts rangefahren war, waren die Polizisten überrascht, dass eine Frau am Steuer saß. Vor allem aber, weil noch nie jemand mit über 200 Stundenkilometern über die Autobahn gerast ist - erlaubt ist in der Regel gerade einmal Tempo 100.

Noor hat sich daraufhin tränenreich entschuldigt. Denn für dieses Vergehen hätte sie ins Gefängnis kommen können. "Es blieb zum Glück beim Führerscheinentzug für ein Jahr", sagt sie, während sie ihren Wagen durch die Straßen von Ramallah lenkt. "Das hier ist Ramallah, das ist was anderes. Die wissen, ich fahre Autorennen, also lassen sie mich in Ruhe."

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