Palästina: "Die Hamas bereitet einen Putsch vor"
Israel kann dem Vorschlag der Europäer nicht folgen, einen Dialog mit der Palästinenserorganisation aufzunehmen, sagt der Reserveoffizier Mosche Elad.
taz: Herr Elad, nach Moskau kommt nun auch aus Rom und London der Ruf, einen Dialog mit der Hamas aufzunehmen. War der Boykott von Beginn an ein Fehler?
Mosche Elad: Ganz sicher nicht. Die Hamas hat nichts verändert, weder an ihrer Strategie noch an der Taktik. Israel wird noch immer von Kassam-Raketen bedroht, jeden Tag kommt es zu Zwischenfällen im Grenzbereich zum Gaza-Streifen.
Werden diese Angriffe denn überhaupt von der Hamas gesteuert?
Die Hamas hat die Kontrolle. Es stimmt, dass sich die Terroristen nicht immer vollständig mit der Hamas identifizieren. Die Geschichte der letzten Jahre zeigt jedoch, dass die Attentate entweder in Zusammenarbeit oder unter dem Deckmantel der Organisation ausgeübt wurden. Entscheidend ist, dass die Hamas im Gaza-Streifen die Verantwortung trägt.
Kassam-Raketen wurden auch abgeschossen, als Palästinenserpräsident Mahmud Abbas noch die Kontrolle innehatte. Worin besteht der Unterschied?
Der liegt darin, dass die Hamas die Angriffe aktiv unterstützt. Die zweite Sache ist, dass die gesamte Welt nach dem Wahlsieg der Hamas vor zwei Jahren sehr klar Verhandlungen und wirtschaftliche Hilfe ablehnte, solange die Hamas nicht ihre Ideologie ändert und die internationalen Bedingungen akzeptiert, also Gewaltverzicht, Anerkennung Israels und aller bisherigen Vereinbarungen zwischen Israel und der PLO. Das ist nicht passiert. Es ist richtig, dass sich die Hamas derzeit in einer Phase der Beruhigung befindet. Das ist aber nicht auf ein ideologisches Umdenken zurückzuführen. Die Hamas nutzt die Ruhephase aus, um sich militärisch neu zu organisieren.
Dann wird sich Israel den europäischen Politikern, die auf eine Erneuerung des Dialogs drängen, also nicht anschließen?
Die Europäer, die gegen den Boykott eintreten, sagen, die Hamas hat den Gaza-Streifen unter Kontrolle. Dort leben 1,3 Millionen Menschen, also müssen wir irgendeine Verbindung herstellen, um humanitäre Katastrophen zu verhindern. Israel kann eine solche Entscheidung nicht mittragen. Ein Ende des Boykotts von israelischer Seite würde die Welt dazu legitimieren, es Israel nachzutun. Damit wäre auch die Hamas international offiziell anerkannt. Das geht nicht.
Was hat der Boykott bisher gebracht?
Ich glaube nicht, dass man den Boykott an seinem Nutzwert messen sollte. Israel geht es um die Bevölkerung und die Beziehungen zu den Menschen, die im Gaza-Streifen leben. Es hat dort einen militärischen Putsch gegeben.
Die Hamas hat die Wahlen gewonnen und ist somit mit legalen Mitteln an die Macht gelangt
Wenn wir einen Weg finden könnten, die Bevölkerung nicht länger im Kampf der Blöcke zu instrumentalisieren, dann würde Israel das tun. Im Gaza-Streifen ist die Macht der Hamas absolut, deshalb ist es schwer, humanitäre Hilfe an ihr vorbeizuorganisieren. Niemand will die palästinensische Bevölkerung bestrafen. Was möglich ist, wird unternommen, solange die Hamas sich nicht dazwischenstellt.
Die Bevölkerung leidet, die Hamas wendet sich an Teheran um Hilfe, al-Qaida gewinnt an Boden Ist der Boykott aus pragmatischer Sicht nicht ausgesprochen kontraproduktiv?
Vergessen Sie nicht, dass die Hamas selbst nicht bereit ist, mit Israel zusammenzuarbeiten. Was sie anbietet, ist eine hudna, ein Waffenstillstand, mehr nicht.
Warum verweigert sich Israel diesem Vorschlag?
Wir haben es mit einer Bewegung zu tun, die es darauf anlegt, Israel zu zerstören. Die hudna hat nur den einen Zweck, nämlich den militärischen Kampf vorzubereiten. Abgesehen davon kann niemand garantieren, dass die Hamas sich auch an den Waffenstillstand halten wird.
Im Westjordanland hat die Hamas seit fast zwei Jahren nicht eine einzige Kugel abgeschossen. Stiftet das kein Vertrauen?
Das Westjordanland ist eine andere Geschichte. Dort regiert die Fatah, wobei auch dort noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Die Hamas bereitet systematisch den Putsch im Westjordanland vor und hat durchaus Chancen, wieder zu gewinnen. Die Hamas verfolgt ihre Ideologie viel hartnäckiger und leidenschaftlicher als die Fatah. Was den Kampf entscheiden wird, ist nicht die Anzahl der bewaffneten Männer, sondern die Motivation der Kämpfer. Vorläufig erledigt die israelische Armee die Arbeit. Das Startzeichen für die Hamas ist, wenn die Soldaten abziehen.
Arabische Staaten, allen voran Ägypten, drängen auf eine innerpalästinensische Versöhnung und die Wiedereinführung der Einheitsregierung. Was bedeutet eine solche Perspektive für Israel?
Ehud Barak, der Chef der Arbeitspartei, sagt, dass sich in den kommenden Jahren nichts tun wird. Israel müsse sich deshalb vorläufig auf Abwehrsysteme gegen Kurzstreckenraketen konzentrieren. Barak ist heute rechter als das rechte politische Lager. Regierungschef Ehud Olmert denkt anders. Er führt Verhandlungen um Inhalte, ohne dass vorläufig ein Rahmen für ein mögliches Abkommen existiert.
Im Gaza-Streifen gab es diese Woche erste Anzeichen des Widerstands. Können Abbas und Olmert weiter über Frieden verhandeln, wenn im Gaza-Streifen wieder gekämpft wird?
Was die Entwicklungen beeinflussen würde, wäre eine humanitäre Katastrophe oder neue Kämpfe, die die UNO dazu veranlassen könnten, Friedenstruppen nach Gaza zu schicken. Das zeichnet sich vorläufig nicht ab, auch weil die Hamas die Lage unter Kontrolle hat. Solange die relative Ordnung bestehen bleibt, wird es nicht zu einer internationalen Intervention kommen.
Ist ein Friedensvertrag ohne die Hamas und ohne den Gaza-Streifen möglich?
Sicher, auch wenn es kein kompletter Vertrag wäre, sondern eine vorübergehende Lösung. Optimal wäre aus israelischer Sicht, wenn es palästinensische Wahlen gäbe, bei denen sich die moderaten Kräfte gegen die Hamas durchsetzen würden, wobei das nicht nur die Fatah sein muss. Danach könnte man einen offiziellen Dialog mit der neuen palästinensischen Führung aufnehmen. Ein Teilvertrag, der den Gaza-Streifen ausschließt, ist eine Zeitbombe. Wir reden über die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung, die sich in schwerer Not befindet. Ein Teilvertrag würde Israel weder Sicherheit noch Frieden bringen.
INTERVIEW: SUSANNE KNAUL
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