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Paläontologe Paul Sereno im Gespräch„Man stolpert quasi drüber“

In der Sahara warten unzählige Überreste von Dinosauriern auf ihre Entdeckung. Ein Gespräch mit US-Forscher Paul Sereno über die Fossilienjagd in der Wüste.

Paul Sereno bei der Arbeit in der Wüste Foto: Matt Irving
Interview von Birk Grüling

taz: Herr Sereno, Niger ist eines der ärmsten Länder der Welt und gilt nicht gerade als politisch stabil. Was reizt Sie gerade an diesem Land so besonders?

Paul Sereno: Niger ist unglaublich. Die Sahara bedeckt den größten Teil des Landes und ist einfach wunderschön. Die Menschen dort sind sehr warmherzig. Sie leben unter sehr harten Bedingungen und versuchen trotzdem, das Beste daraus zu machen. Eine der wichtigsten Ressourcen, die dieses Land hat, sind die Fossilien. In der Wüste gibt es so viele unbekannte Dinge zu entdecken – gewaltige Dinosaurier, riesige Krokodile, frühe Menschen. Diese Funde müssen wir unbedingt der Welt zugänglich machen, und zwar nicht in den USA oder Europa, sondern vor Ort in Niger. Alle Fossilien, die ich mit nach Chicago nehme, bringe ich deshalb zurück in das Land. Was uns wirklich vor Ort fehlt, sind noch Museen und Forschungseinrichtungen. Das möchte ich mittelfristig ändern.

Welche Fossilien kann man in der Wüste finden?

Paul Sereno: Wenn ich mit meinen Studierenden in den USA grabe, finden wir selten etwas wirklich Neues. Ein weiterer Triceratops ist schon das höchste der Gefühle. Die Sahara ist dagegen ein fast unbeschriebenes Blatt. Wir haben bei unseren Grabungen unzählige große Raubfische, Krokodile, Flugsaurier und natürlich auch viele Dinosaurier gefunden. Die meisten davon sind völlig unbekannt und müssen noch benannt werden. Ich habe allein neun neue Saurierarten in Niger gefunden, darunter den Jobaria tiguidensis, einen fast 20 Meter langen Langhalssaurier. Wir haben von ihm ein fast vollständig erhaltenes Skelett gefunden, genau wie von dem Raubsaurier Suchomimus, einem nahen Verwandten des bekannten Spinosaurus. Von dem haben wir übrigens auch noch Knochen entdeckt, allerdings liegen die noch in der Wüste, genau wie viele andere unbekannte Saurierüberreste.

Wie bekommen Sie die Fossilien aus der Wüste?

Die Fossilien zu finden ist kein Problem. Über die stolpert man quasi. Viel kniffliger sind die Ausrüstung und das Team. Man braucht zum Beispiel jemanden, der mitten im Nirgendwo einen Motor reparieren kann. Ohne Fahrzeug kommen weder wir noch die Fossilien aus der Wüste. Außerdem muss man genug Wasser und Nahrung einpacken und dafür sorgen, dass das Team gesund bleibt. Dort draußen gibt es kein Krankenhaus, gleichzeitig ist es sehr heiß und die Arbeit im Sand sehr beschwerlich. Ganz wichtig ist auch die Unterstützung der Nomaden. Sie kennen die Wüste besser als jede Karte oder jedes GPS-System. Ohne sie wären wir verloren. Aber ich liebe dieses Abenteuer, die Sahara ist einfach ein magischer Ort.

Wie gefährlich ist die Arbeit in der Wüste?

Wenn etwas unbekannt ist, wirkt es auf uns oft gefährlich. Ein Beispiel: Mich haben Freude aus Niger besucht. Sie hatten große Angst, allein aus dem Flughafen zu gehen, weil sie gehört hatten, wie viele Schusswaffen es in Chicago gibt. Natürlich wird man hier in der Stadt nicht erschossen, wenn man aus dem Flughafen tritt, aber in der Wüste sind Menschen mit Waffen immer gefährlich. Andersherum fühle ich mich in Niger inzwischen sicher und ein wenig heimisch. Wenn ich gebräunt von der Wüstensonne, in der traditionellen Kleidung des Landes unterwegs bin, falle ich überhaupt nicht auf und kann mich frei bewegen. Trotzdem begleiten uns bewaffnete Soldaten bei unseren Ausgrabungen, und wir stehen unter dem Schutz der Tuareg. Das ist immens wichtig, weil die Wüste ein ähnlich rechtsfreier Raum wie der Wilde Westen ist. Und ja, ich wurde auch schon ausgeraubt. Trotzdem habe ich mehr Angst, bei einem Autounfall in Chicago zu sterben, als in der Sahara.

Im Interview: Paul Sereno

Jahrgang 1957, ist ein US-amerikanischer Paläontologe, der zahlreiche bemerkenswerte Dino­saurierarten entdeckt hat – unter anderem das Superkrokodil Sarcosuchus, den Spinosaurusverwandten ­Suchomimus oder den Langhals­saurier Jobaria. Er gründet das NigerHeritage-Projekt (www.nigerheritage.org) zur Erforschung der Fossilien in Niger und zum Bau von zwei großen Museen dort.

Coronabedingt liegen 25 Tonnen Fossilienfunde noch in der Wüste. Wie gefährdet sind sie?

Grundsätzlich macht Fossilien der Sand und das raue Wetter der Wüste nichts aus. Immerhin sind sie im Stein eingeschlossen und liegen dort schon sehr lange Zeit. Zum Glück machen auch viele Grabräuber noch einen großen Bogen um Niger. Es ist ihnen einfach zu unsicher dort (lacht). Trotzdem möchte ich die Fossilien nicht länger als nötig dort lassen. Sie brauchen Schutz und müssen untersucht werden. Zum Glück habe ich eine Abmachung mit den Tuareg. Sie beschützen die Funde.

Gibt es eine passende Infrastruktur für die Fossilien in Niger? Auch in Deutschland wird regelmäßig darüber diskutiert, in Tansania gefundene Saurier zurück nach Afrika zu geben. Allerdings wäre das durchaus eine Gefahr für die wertvollen Funde, auch weil die passende Infrastruktur fehlt.

Ich halte wenig davon, alle Fossilien einer Art an einem Ort zu lassen. Die Gefahr einer Katastrophe ist einfach zu groß. Und ja, in vielen afrikanischen Ländern gibt es kaum Ausstellungsmöglichkeiten für wertvolle Fossilien – dadurch sind sie in Gefahr. Allerdings könnte das auch in Europa so sein. Das lange Zeit einzige Skelett des Spinosaurus wurde während des Zweiten Weltkriegs in München zerstört. Deshalb müssen wir das Problem endlich lösen und vernünftige Museen in Afrika bauen. Dann können und müssen viele der Fossilien an ihren ursprünglichen Fundort zurückkehren. Das ist nur fair. Übrigens habe ich auch vor, die Funde aus Niger, die im Moment in Braunschweig liegen, ins Land zurückzuholen.

Deshalb haben Sie ein Projekt namens NigerHeritage gegründet?

Genau. Ich habe eine Abmachung zu all meinen Funden. Ich lasse nicht zu, dass sie zerstört werden, und ich sorge dafür, dass man sie ­sehen kann, und zwar dort, wo sie gefunden wurden. Mein Ziel ist es deshalb, zwei große Museen in der Sahara zu bauen, eins in Niamey und eins in Agadez. Für die Entwürfe dieser Bauwerke haben wir bereits einige Architekturpreise gewonnen und sammeln Spenden. ­Allerdings hat uns die Coronapandemie im Moment einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber irgendwann werden Touristen aus aller Welt kommen, um diese Museen und die tollen Funde aus der Wüste zu sehen, und die Menschen vor Ort werden immens davon profitieren.

Viele Menschen in Niger leiden Hunger, die Analphabetenquote ist sehr hoch. Wie sollen ihre Si­tua­tion ausgerechnet Museen verbessern?

Alles, was über Niger berichtet wird, ist Hunger, Elend und Krankheiten. Das schreckt die Menschen ab und verhindert Tourismus. Dabei wäre dort großes Potenzial. Die Natur ist wunderschön, und die Menschen sind sehr herzlich. Es gibt viele tolle Dinge zu entdecken. Deshalb ist es so immens wichtig, die Menschen zurück ins Land zu locken und den Tourismus als Wirtschaftszweig neu zu beleben. Beeindruckende Museen wären dazu ein guter Anfang. Natürlich profitieren auch die Menschen vor Ort. Wir haben schon heute einige spektakuläre Fossilien in Niger aufgebaut, unter anderem ein Skelett des Superkrokodils Sarcosuchus. Seine Überreste kennt inzwischen fast jeder vor Ort. Dinosaurier bringen die Menschen hier zusammen und machen sie neugierig.

Welche Rückmeldung gibt es von den Menschen vor Ort?

Für das Projekt haben wir die Website nigerheritage.org geschaffen, dort zeigen wir auch die preisgekrönten Architekturentwürfe für beide Museen. Spannenderweise kommt die Hälfte unserer Websitebesucher selbst aus dem Niger. Das zeigt die große Begeisterung auch im Land für dieses Projekt. Und unsere ausgestellten Saurier hat inzwischen fast jeder Mensch vor Ort gesehen.

Wie wichtig wäre die Saurierforschung in Niger selbst, also mit einheimischen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen?

Das wäre enorm wichtig! Wir brauchen unbedingt Wis­sen­schaft­le­r:in­nen vor Ort, die die Funde ausgraben und untersuchen können. Deshalb müssen wir mit den Museen auch Labore bauen und ein eigenes Studienprogramm für junge Menschen aus der Region schaffen, um ihnen damit eine neue Perspektive zu geben. Auch das gesamte Universitätssystem des Landes würde davon profitieren. Zusätzlich wollen wir einen stärkeren Austausch zwischen Universitäten in den USA schaffen. Auch For­sche­r:in­nen aus der ganzen Welt sollen hierherkommen und sich an dem Aufbau beteiligen.

Sie mussten Ihren Forschungsaufenthalt im letzten Jahr corona-bedingt abbrechen. Wann wollen Sie nach Niger zurückkehren?

Sobald wie möglich. Zum Glück sind mein Team und ich inzwischen geimpft und damit keine Gefahr mehr für die Menschen vor Ort, die vermutlich noch viele Monate auf eine Impfung warten müssen. Deshalb scheint eine Rückkehr bald möglich zu sein. Immerhin müssen wir noch die 25 Tonnen Fossilien einsammeln, die wir in der Wüste zurücklassen mussten. Zum Glück haben uns die Tuareg versprochen, regelmäßig nach den Knochen zu sehen und sie zu beschützen. Trotzdem höre ich die Dinosaurier in der Nacht schon nach mir rufen (lacht).

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