Pakistans Ex-Premier Bhutto getötet: "Sie ist den Märtyrertod gestorben"
Mit dem Mord an Ex-Premier Bhutto haben die Islamisten in Pakistan ihr vorerst wichtigstes Ziel erreicht. Oppositionspolitiker Sharif kündigte den Boykott der Parlamentswahl an.
DELHI taz Die Morddrohungen islamistischer Fanatiker gegen Pakistans Oppositionsführerin und ehemalige Premierministerin Benazir Bhutto sind wahr geworden. Die 54-Jährige starb am Donnerstagnachmittag, als ein Attentäter in der Garnisonsstadt Rawalpindi vor der Toren der Hauptstadt Islamabad nach einer Wahlkampfveranstaltung ihrer Partei PPP (Pakistanische Volkspartei) mehrere Schüsse auf sie feuerte, während sie dabei war, in ihr Auto zu steigen. Anschließend sprengte sich der Mann in die Luft. Vertreter von Bhuttos Volkspartei PPP sagten, sie sei durch Schüsse in die Brust und in den Hals getötet worden. Ein Sprecher des Innenministeriums hingegen sagte, Bhutto sei Verletzungen erlegen, die sie durch einen Bombensplitter erlitten habe.
Am Ort des Anschlages herrschte nach dem Attentat Chaos. Pakistanische Fernsehsender zeigten Aufnahmen von Toten und Verletzen. Menschen knieten neben Getöteten und schlugen sich auf die Brust. Mindestens 20 weitere Menschen kamen bei dem Anschlag ums Leben, darunter mehrere Polizisten.
1947: Pakistan entsteht bei der Aufteilung Britisch-Indiens als Staat der Muslime des Subkontinents
1973: Nach Sezession von Bangladesch und Krieg mit Indien um Kaschmir wird Zulfiqar Ali Bhutto Premierminister
1977: Militärs stürzen Zulfiqar Ali Bhutto und richten ihn 1979 öffentlich hin
1988: Bhuttos Tochter Benazir gewinnt freie Wahlen und wird Premierministerin, wird 1990 entlassen und 1993 wiedergewählt
1996: Benazir Bhutto erneut abgesetzt, ihr Rivale Nawaz Sharif gewinnt Wahlen
1997: Bhutto geht ins Exil
1999: Ein Militärputsch unter Armeechef Pervez Musharraf stürzt Ministerpräsident Sharif. Musharraf wird 2001 Staatschef, bildet enge Anti-Terror-Allianz mit den USA und bleibt an der Macht
März 2007: Gegen den zunehmend autoritär regierenden Musharraf bilden die Justiz und die Exiloppositionellen Bhutto und Sharif ein breites Bündnis
September 2007: Sharif wird bei der Rückkehr aus dem Exil verhaftet und nach Saudi-Arabien abgeschoben
Oktober 2007: Musharraf gewinnt indirekte Präsidentschaftswahl im Parlament. Bhutto kehrt aus dem Exil zurück, nachdem sie einen Deal mit Musharraf geschlossen hat, um nach neuen Parlamentswahlen wieder Premierministerin zu werden, und überlebt einen blutigen Anschlag von Islamisten
November 2007: Musharraf verhängt Ausnahmezustand. Für den 8. Januar 2008 werden Parlamentswahlen angesetzt, der Ausnahmezustand wird aufgehoben
27. Dezember 2007: Benazir Bhutto wird erschossen
Zunächst hatte es geheißen, Bhutto habe das Attentat unverletzt überstanden. Sie war nach dem Anschlag in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht worden. Erst später teilte ein Sprecher mit: "Sie ist den Märtyrertod gestorben." Aufgebrachte Anhänger der Politikerin skandierten daraufhin "Musharraf, du Hund" und zerschlugen mehrere Fensterscheiben der Notaufnahme des Krankenhauses. Ein Anhänger von Bhuttos Partei sagte, sie sei um 18:16 Uhr pakistanischer Zeit gestorben.
Es war der zweite schwere Anschlag auf die Politikerin seit ihrer Rückkehr nach Pakistan im Oktober dieses Jahres. Damals hatten sich bei einer Parade in der Stadt Karatschi zwei Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und knapp 150 Menschen getötet. Bhutto überlebte dieses Attentat unverletzt.
Ebenfalls am Donnerstag wurden in Islamabad bei einer Wahlveranstaltung der Muslimliga von Nawaz Sharif, der zweimal Benazir Bhutto als Ministerpräsident abgelöst hat, drei Parteiaktivisten erschossen. Sharif kündigte den Boykott der für den 8. Januar geplanten Parlamentswahl an. Zugleich forderte er Staatschef Pervez Musharraf zum Rücktritt auf.
Mit den Anschlägen verschärfen die Islamisten ihre blutige Chaos-Strategie. Für den 8. Januar 2008 sind in Pakistan Parlamentswahlen angesetzt. Erst vor wenigen Tagen hatte ein Kommandeur, der den afghanischen Taliban nahesteht, pakistanischen Journalisten gesagt, dass er die Wahlen unbedingt verhindern wolle. Ihre Machtbasis haben die Islamisten im unruhigen Nordwesten Pakistans an der afghanischen Grenze, wo 90.000 pakistanische Soldaten Jagd auf sie machen. Die Taliban nutzen die Region als Rückzugsgebiet.
Mit dem Tod Bhuttos haben die Islamisten ihr vorläufig wichtigstes Ziel erreicht. Das mögliche Regierungsduo aus einer Premierministerin Bhutto und einem zivilen Präsidenten Musharraf, auf das vor allem die USA gedrängt haben, ist nun nicht mehr möglich. Für die USA war Bhutto als Premierministerin die erste Wahl, denn sie hatte immer ihre prowestliche Haltung beteuert. Das sollte nun zu ihrem Todesurteil werden.
Aber es gibt auch andere Mutmaßungen im Land über den Anschlag. "Benazir Bhutto war die größte Bedrohung für die Musharraf-treuen Parteien", sagte der Analyst Farzwna Shaihk vom renommierten britischen Forschungsinstitut "Chatham House". Der Anschlagsort wirft Fragen auf. Rawalpindi, die einstige Hauptstadt Pakistans, beherbergt das Hauptquartier des pakistanischen Militärs und gilt als eine der am besten gesicherten Städte des Landes. Es ist schwer vorstellbar, dass ein tödlicher Anschlag hier ohne Komplizenschaft im Sicherheitsapparat gelingen kann.
Der Anschlag nutzt Musharraf insofern, als nun keine der beiden großen Volksparteien Pakistans mit einem charismatischen Spitzenkandidaten ins Rennen gehen kann. Bhuttos ziviler Rivale Nawaz Sharif und sein Bruder Shahbaz wurden von der Wahlkommission von der Wahl ausgeschlossen, weil sie vorbestraft sind. Nun ist auch Bhutto aus dem Spiel. Die Kommission gilt als Musharraf-treu, und Sharifs Vorstrafen kommen von Sondergerichten, die Musharraf einrichten lassen hatte.
Musharraf rief im Fernsehen zur Ruhe auf, nachdem in Reaktion auf den Mord Unruhen ausbrachen. Der Präsident sprach von einem Terroranschlag und verfügte drei Tage Staatstrauer. Aus den Metropolen Karatschi und Lahore wurde Gewehrfeuer gemeldet. Die Streitkräfte wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt, die "Alarmstufe Rot". Am Abend blieb offen, ob Musharraf erneut den Notstand über Pakistan verhängen könnte.
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