PORTRÄT: „Seit der Wende verfallen die deutschen Tugenden“
■ Für Manfred Gnecko, einen der Drahtzieher hinter der Gewalt in Hoyerswerda, werden „alte Rechnungen“ beglichen
Seitdem die Fremden da sind, gerät für Manfred Gnecko (30) die Welt aus den Fugen. Die Roma schickten ihre Kinder betteln, auch an seiner Haustür habe schon ein Mädchen geklingelt. Dem hat er ein paar Groschen gegeben, und dann konnte er beobachten, wie das Kind in einen Mercedes einstieg. „Betrüger sind das“, ruft er. Und die „Neger“, die aus Ghana oder Kamerun kommen, von denen weiß er, daß sie ihre Frauen zu „Sextänzen“ in dubiosen Kellerkneipen zwingen. Gnecko ist sich sicher: „Seit der Wende verrohen bei uns die Sitten, verfallen die deutschen Tugenden.“
Er und seine Freunde hatten es sich im vergangen Jahr zur Aufgabe gemacht, Hoyerswerda vor dem moralischen Niedergang zu bewahren. In ihre Privatautos bauten sie CB-Funk ein und fuhren „Streife“ in der Stadt. Im Neubaugebiet jagten sie Einbrecher und Autodiebe. Nach erfolgreicher Fahndung brachten sie die mutmaßlichen Täter und deren Beute auf das Polizeirevier. Auch beim Wohnheim für Asylsuchende fuhren sie häufig vor, „weil die doch alle Autos aufbrechen“. Was die selbsternannten Sheriffs mit denen, die ihnen verdächtig vorkamen, machten, darüber schweigt sich Manfred Gnecko aus. Eine Art Bürgerwehr sei man gewesen, weil die Polizei „der Kriminalität hilflos gegenübersteht und wir viel effektiver sind als die“. Gerade Frauen trauten sich seit Monaten nicht mehr allein auf die Straße und hätten nachts häufiger die Männer der „Neuen Deutschen Ordnung“ darum gebeten, nach Hause gefahren zu werden — aus Angst vor dem fremden Mann. Aber das ist vorbei. Nachdem der Ring der edlen Kavaliere in der Öffentlichkeit als neofaschistische Organisation enttarnt worden war und die Polizei mehrmals die Wohnungen nach Waffen durchsucht hatte, sei man „auseinandergegangen“.
So kümmern sich Manfred und seine Lebensgefährtin Marlies vor allem um die jungen wohnungslosen Skins der Szene. In ihrer Drei-Raum- Wohnung leben sie mit ihren vier Kindern auf 70 engen Quadratmetern. Derzeit gesellen sich noch zwei junge Logiergäste dazu; einer von ihnen, Sven, wurde vor drei Tagen kurzerhand von seinen Eltern vor die Türe gesetzt. Sie begreifen nicht, daß ihr Sohn nachmittags nach der Schule auf den Marktplatz geht und Vietnamesen jagt.
Der Rassenhaß sei die erste Stufe der Gewalt in Hoyerswerda, meint Gnecko. „Wenn die Ausländer nicht mehr da sind, geht es Mann gegen Mann.“ Demnächst werden sich Skins mit Polizisten prügeln, vermutet er. Manfred Gnecko ist im vergangenen Jahr arbeitslos geworden. Er fühlt sich als „Opfer“ des Systemwandels. Der Haß auf Ausländer ist nicht nur als Abwehr gegen das Fremde, Ungewohnte zu deuten. Mit der offenen Randale werde auch eine „alte Rechnung“ beglichen. Die Polizisten stünden stellvertretend für die — im nachhinein — verhaßte Gesellschaftsordnung. „Nichts hat sich geändert. Die Kombinatsdirektoren sind auch noch da. Und wer früher Polizist war, der ist es heute auch noch.“ Das ist nicht die neue Ordnung in Deutschland, die er sich gewünscht hat. Annette Rogalla
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