PORTRÄT: Ein Jude in Deutschland, kein jüdischer Deutscher
■ Ignatz Bubis aus Frankfurt am Main soll neuer Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland werden
Seit geraumer Zeit ist nun der derzeitige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Ignatz Bubis, als künftiger Nachfolger von Galinski im Gespräch. Von allen möglichen Kandidaten — vom hannoverschen Rechtsanwalt bis zum Mainzer Honorarprofessor — ist bisher alleine Bubis dem Verschleiß und Gerede entgangen. Weder naßforsch noch ängstlich, weder deutschnational gestimmt noch der Nachmann-Ära verhaftet, scheint er jener „man for all seasons“ zu sein, der die verschwindende Minderheit der Juden früher oder später in der trügerischen Normalität des wiedervereinigten Deutschlands repräsentieren wird. Bubis, dessen fünfundsechzigster Geburtstag kürzlich festlich in großem Rahmen in seinem selbst gewählten Domizil Frankfurt, dem er sich als Lokalpatriot verbunden fühlt, begangen wurde, verkörpert im besten Sinne das, was er vielleicht einmal repräsentieren wird: Er ist ein Jude in Deutschland, kein deutscher Jude oder gar jüdischer Deutscher.
In Breslau geboren, trieben ihn die nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und ihre Konsequenzen erst nach Polen und wieder zurück durch ganz Deutschland, nach Frankfurt... und eben nicht nach Israel, in die USA oder Frankreich... Die Stationen seines Lebens: aus dem östlichen Deutschland, aus Breslau, über Konzentrations-, Arbeits- und die DP-Lager in den westlichen Besatzungszonen in das Berlin der Schwarzmärkte; dann in den fleißigen deutschen Südwesten, in dem sich das Wirtschaftswunder ereignete, zu guter Letzt in das dynamische Frankfurt. Es sind auch die Stationen der Bundesrepublik Deutschland, der alten Bundesrepublik. Ignatz Bubis — ein jüdischer Selfmademan in einem verwestlichten Selfmadedeutschland —, der Jude in Deutschland, ist am Ende noch typischer für das Nachkriegsdeutschland als für das, wofür viele ihn halten. Anders ist kaum zu verstehen, warum ausgerechnet die Fassbinderaffäre, während derer sich der gesetzte Herr studentischen Anfangssemestern gleich auf das Abenteuer eines Hausfriedensbruchs einließ, ihm einen Schwall von antisemitischen Anrufen einbrachte. Die Intensität dieser Attacken wurde weder zuvor noch danach, auch nicht während des Frankfurter „Häuserkampfes“ erreicht.
In jenen Novembertagen des Jahres 1985 hat der bundesrepublikanische Jude Ignatz Bubis mehr für die Verteidigung jüdischer Würde und zur Aufklärung wider den Antisemitismus getan als ganze Kohorten von Leitartiklern, wohlmeinenden Schulbuchlektoren und christlich-jüdischen Feiertagsrednern in mehreren Jahrzehnten. Und zwar nicht durch die Bühnenbesetzung, sondern durch ein mutiges Selbstouting: „Jawohl“, so sinngemäß in einem Interview, „ich bin ein Spekulant, andere spekulieren an der Börse, ich spekuliere in Grundstücken.“
Ignatz Bubis, der — es kann nicht oft genug wiederholt werden — nicht das Vorbild für Fassbinders „rachsüchtigen“ reichen Juden darstellt, hat sich damit einen Platz in der Geschichte jüdischer Emanzipation erworben. Die Wut, die Bubis, damals auf sich zog, war nichts anderes als die Wut der Bundesrepublikaner auf sich selbst, auf die Wirtschaftsbürger eines Wirtschaftsstaates, den viele nicht akzeptieren mochten, obwohl sie nur durch ihn zu dem wurden, was sie sind.
Bubis, der sich um Geld keine Sorgen zu machen braucht und dem auch noch so gehässige Verdächtigungen Strafbares nicht nachweisen konnten, ist ein liberaler Mann. Persönlich bisweilen mutig — auch der Kanzler Kohl mußte seine Kritik hinnehmen — in seinem Profil unscharf aber stets verbindlich, gehört er seit mehr als zwanzig Jahren der FDP an.
Dem Naturell nach eher ein Sozialliberaler, der jedenfalls in Frankfurt zum Lieblingskapitalisten des grünen Milieus avancierte, ist er stets bereit, sich für Bürger- und Menschenrechte von Ausländern und gegen den Rechtsextremismus öffentlich einzusetzen, ohne jedoch dabei die offene und harte Konfrontation mit dem rechten Rand der Frankfurter CDU zu suchen. Während des „Ausländerwahlkampfes“ der CDU im Jahre 1989 war seine Stimme ebensowenig laut zu vernehmen wie die anderer Vorstandsmitglieder der Jüdischen Gemeinde.
Ob aus Überzeugung, aus Verantwortung oder Kalkül: ein mutiger Auftritt wie der während des Fassbinder-Streits läßt sich für Bubis offenbar nicht beliebig wiederholen. Sogar wenn es um Besorgnisse wegen des Staatsvertrages zwischen der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und dem Land Hessen ging — im Rückblick wird immer unverständlicher, warum Bubis während des Börneplatz-Konflikts zwar immer kritisch abwägende, ja bisweilen nörglerische Interviews gegen das Vorgehen des Magistrats und dessen kulturelles Vandalentum gab, sich aber niemals zu einem klaren „Nein“ zur Zerstörung der Ghettoreste und dem Neubau der Stadtwerke am Börneplatz durchringen konnte. Bubis hat den Holocaust der Deutschen an den Juden überlebt und wurde gleichwohl zum Frankfurter Lokalpatrioten. Eine überregionale Zukunft liegt noch vor ihm. Micha Brumlik
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