PORTRAIT: In Treue fest und meerumschlungen: Engholm und seine „Graue Eminenz“
■ Der neue Bundesgeschäftsführer der SPD soll Karl-Heinz Blessing heißen/ Württemberger Gewerkschaftstechnokrat für den schleswig-holsteinischen Schöngeist
Eine „glückliche Büroehe“ attestierten Franz Steinkühler und Karl-Heinz Blessing sich übereinstimmend, wenn sie zu vorgerückter Stunde, trockenen Roten im Glas, auf ihr Verhältnis angesprochen wurden. Dazu mag landsmannschaftliche Verbundenheit beigetragen haben. Wie sein Chef transportierte Blessing von sich das Image des Württembergers aus Passion. Der jetzt 33jährige Diplom-Volkswirt und Doktor der Sozialwissenschaften war 1984, unmittelbar nach seiner Promotion, von der Universität Konstanz zur IG Metall gegangen. Von Anfang an war sein Feld die Organisationsabteilung beim IG-Metall-Vorstand. Mit Reorganisation und Durchsetzung der Elektronischen Datenverarbeitung in der Zentrale machte sich der eher wie ein Gewerkschafts- Yuppie auftretende Blessing unter den KollegInnen beileibe nicht nur beliebt.
Zwei Jahre später übernahm er einen Posten mit dem harmlos klingenden Titel „Leiter der Abteilung Erster Vorsitzender des Vorstands der IG Metall“. Damit war er nicht nur die Graue Eminenz in der „größten Einzelgewerkschaft der Welt“ geworden, sondern auch ganz offiziell Steinkühlers engster Mitarbeiter — zu seinem „Pfeifenkabinett“, einem Gremium, in dem man natürlich nur wegen der gemeinsamen Passion der Teilnehmer keine Frau findet, hatte er schon seit Steinkühlers Wahl auf dem Hamburger Gewerkschaftstag gehört.
Die Loyalität zum Ersten Vorsitzenden trug ihm nicht nur IG-Metall-internen Spott ein — angeblich kopierte er den Schnitt von Steinkühlers Anzügen; wäre dieser nicht massiver, hätten die gegen den Technokraten eher voreingenommenen Metaller ihm wahrscheinlich sogar Auftragen unterstellt. Als einer von Steinkühlers Redenschreibern war er für Oskar Lafontaine in der Auseinandersetzung um die Frage der Samstagsarbeit neben dem roten Tuch Steinkühler mindestens ein rotes Taschentuch. Bis zur Kanzlerkandidatur des Saarländers gab es aus Frankfurt und Saarbrücken viel Häme zu hören, danach standen die Zeichen auf „Schulterschluß“.
Politische Planung und der Kontakt zu Regierung und Parteien gehörten stets zu Karl-Heinz Blessings Aufgabenbereich. Seit 1974 ist er SPD-Mitglied, zuletzt arbeitete er in der Programmkommission der Partei mit. Dies alles sind Voraussetzungen, die in seinem neuen Job sein Haben-Konto in Sachen „Kompetenz“ erhöhen, Loyalität und Disziplin wird man ihm auch bescheinigen können. Alles Lieblingstugenden in der deutschen Arbeiterbewegung. Und trotzdem hat dieses langjährige Parteimitglied, dieser Gewerkschaftsfunktionär aus der Chefetage eines nicht: Stallgeruch — dann schon eher einen ewigen Hauch von Aftershave. Engholm hat sich einen eleganten Besen besorgt. Georgia Tornow
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen