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PORTRAITCome-back für den Mann mit der Heilsbotschaft

■ Necmettin Erbakan, Vorsitzender der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei, die bei den Wahlen vom Sonntag ihren Stimmenanteil verdoppeln konnte, hat es geschafft, die Protestwähler zu mobilisieren

Als Necmettin Erbakan Sonntag um Mitternacht in die Parteizentrale der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei trat, verkündete er die Heilsbotschaft: „Dies ist der Befreiungstag der Nation. Der Vulkan ist explodiert.“ „Allah ist am größten“, dröhnten seine Anhänger. Erbakans Wohlfahrtspartei errang 17 Prozent der Stimmen und wird mit 55 Abgeordneten in die Nationalversammlung einziehen. Noch bei den Wahlen 1987 errang die Partei nur 7,1 Prozent, bei den Kommunalwahlen 1989 waren es 9,8.

Die islamischen Fundamentalisten sind im Kommen. Und sie haben ein wenig nachgeholfen. Wie es hieß, hatte die Wohlfahrtspartei Erbakans den im westeuropäischen Ausland lebenden Migranten türkischer Nationalität ermöglicht, am Wahltag zum stark verbilligten Chartertarif in die Türkei zu fliegen und sofort am Flughafen ihre Stimme abzugeben.

Seit zwei Jahrzehnten ist Necmettin Erbakan aus der türkischen Politik nicht mehr wegzudenken. Als das türkische Verfassungsgericht 1971 seine fundamentalistische „Nationale Ordnungspartei“ verbot und Militärs das Sagen hatten, ging er ins Ausland, um seine Mannen zu dirigieren. Bei den Wahlen 1973 feierte er mit seiner neugegründeten „Nationalen Heilspartei“ ein Come- back. Die Partei war das Zünglein an der Waage. Erbakan koalierte damals mit dem Sozialdemokraten Ecevit und dem Konservativen Demirel. In den siebziger Jahren wurde er in drei Regierungen Staatsminister. Nach dem Militärputsch 1980 wurde Erbakan wegen „anti-laizistischer Bestrebungen“ festgenommen und fast ein Jahr in Haft gehalten.

Auch Antisemitismus gehört zum Repertoire Erbakans

Heute feiert Erbakan erneut sein Come-back — und ist so stark wie nie zuvor. Die Wohlfahrtspartei ging im Vorfeld der Wahlen ein Bündnis mit zwei faschistischen Parteien ein. Der Chef der „Grauen Wölfe“, Alparslan Türkeș, der für Tausende Politmorde in den siebziger Jahren verantwortlich ist, wird auch Mitglied des türkischen Parlaments werden — dank Erbakan, der Türkeș und seine „Nationalistische Arbeitspartei“ ins heilige Bündnis aufnahm.

Erbakans Wohlfahrtspartei hat es geschafft, die Stimmen der Protestwähler auf sich zu vereinigen. In den Wahlkundgebungen Erbakans wurde das „Sklavensystem“ zum Teufel gewünscht. Seine Heuchelei kennt keine Grenzen; auch Menschenrechtsverletzungen, Umweltthemen und Verarmung wurden thematisiert. Und moderne Frauen ohne Kopftuch traten in den Werbespots als Unterstützer der Wohlfahrtspartei auf. Bei den großen bürgerlichen Parteien hat Erbakan „Diskothekenmentalität“ und „Nachäffung des Westens“ ausgemacht. Auch spricht sich die Wohlfahrtspartei ausdrücklich gegen die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Gemeinschaft, für die Aufhebung der „künstlichen Grenzen mit den islamischen Ländern“ und für ein „islamisches Verteidigungsbündnis“ aus.

Desweiteren speist sich Erbakans Ideologie aus Antisemitismus. „Wollt ihr eine Provinz Groß-Israels werden oder als Türken die Führung der islamischen Welt übernehmen“, fragte Erbakan seinen Anhängern. „Falls ihr nicht wünscht, daß eure Söhne als Soldaten von Salomon in Tel Aviv geführt werden, müßt ihr unsere Partei wählen. Falls ihr nicht vorsichtig seid, werden die Türkei und Israel zu einem Staat zusammenwachsen.“

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