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PERSÖNLICHE ERKLÄRUNG DES TAZ-KORRESPONDENTEN IN BELGRADZum Sturz von Slobodan Milošević

Eigentlich ist es mir egal, was mit Slobodan Milošević passiert. Ich empfinde nicht einmal Genugtuung, wenn er jetzt eingesperrt in seiner Residenz im Belgrader Nobelviertel Dedinje um sein Leben bangt. Er, der große, starke Mann, der noch vor zwei Wochen der ganzen Welt gedroht hatte. Und seine Frau Mira Marković, die das eigene Volk immer für blöd hielt, weil es ihren Wunsch nicht verstehen konnte, eine neokommunistische Weltrevolution gegen den amerikanischen Neokolonialismus anzuführen. Freude empfinde ich schon gar nicht. Unzählige Tote, Verwundete, Verkrüppelte hat Milošević zurückgelassen. Geflüchtete, vertriebene, erniedrigte Menschen, zerstörte Städte.

Ich kann aber auch den ungezügelten Siegesrausch auf Belgrads Straßen nicht nachempfinden. Mich quält ein Gefühl des Ekels, das ich einfach nicht loswerde. Nicht nur des Führers, seiner Worte und Taten wegen, sondern auch weil Millionen Serben auf diesen Mann, auf seine Blut-und-Boden-Politik hereingefallen, ihm von einem Feldzug in den anderen gefolgt sind. Milošević ohne Macht, das ist eine tragikomische, armselige Gestalt.

Vier Kriege hat der Mann geführt, einen sogar gegen die ganze Welt, und alle hat er verloren. Eine ganze Generation junger Menschen hat er mit seiner wahnsinnigen Politik aus Serbien davongejagt. Die Zwanzigjährigen von heute, sie kennen nichts anderes als Krieg, Krisen, Inflation, Elend. Und den alten, sozial ruinierten Menschen, denen hat er die letzte Würde genommen.

Es gibt keine passende Strafe für Milošević. Er wird in dem Glauben sterben, sich für Volk und Vaterland aufgeopfert zu haben. Ich bin sicher, er ist jetzt mehr beleidigt als erschrocken. Vor der Präsidentenwahl muss er überzeugt gewesen sein, vom Volk geliebt zu werden. Deshalb war er vollkommen unvorbereitet auf den massiven Protest, auf die Wut des so lange missbrauchten Volkes. Nach so vielen Jahren Chaos, Wirrnis und Gesetzlosigkeit braucht Serbien einen Rechtsstaat. Milošević hat den Bürgern in Serbien den Glauben an einen Rechtsstaat, an Bürgerrechte genommen. Doch genau diese Bürgerrechte müssen jetzt eingefordert werden.

Ich wünsche mir nicht, dass Milošević vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal landet. Ihm soll ein fairer Prozess in Serbien gemacht werden, nach den Gesetzen des Landes, an dessen Spitze er dreizehn Jahre gewütet hat. Und wenn er schuldig gesprochen wird, dann soll er in einem serbischen Gefängnis seine Strafe absitzen. Denn, wie ein serbischer Journalist jüngst schrieb, die Gefängniszellen in Serbien sind viel unbequemer als die Gästezimmer für Kriegsverbrecher in Den Haag.

ANDREJ IVANJI

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