■ Lesetip: PCP-Skandal war kein Betriebsunfall
Allein in der alten BRD sind etwa 4 Millionen Haushalte davon betroffen, 12 bis 20 Millionen Menschen atmen es täglich ein: Pentachlorphenol (PCP), ein Umweltgift, das in den letzten Jahren zu trauriger Berühmtheit gelangte.
PCP ist ein Pilz-, Bakterien- und Insektengift und wird vor allem zum Schutz vor Pilzbefall in Holz eingesetzt. Bis Ende der 70er Jahre wurde sein Einsatz sowohl für den Außen- als auch den Wohnbereich empfohlen. Als sich die Verdachtsmomente häuften, nahmen die Hersteller PCP freiwillig aus ihren Innenbereichsprodukten heraus. Erst seit 1986 gibt es in der BRD ein Verbot für die Anwendung von PCP in Innenräumen. Seit 1990 steht PCP in der Liste der im Tierversuch eindeutig krebserregenden Stoffe.
PCP gast aus den behandelten Flächen über Jahre hin aus, wird eingeatmet, gelangt über die Lunge ins Blut, über den Blutkreislauf dann ins Gehirn und greift so das Nervensystem an. Betroffene klagen über vielfältige Symptome: Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche, Schlappheit, rasche Ermüdung, Depressionen, verringerte Leistungsfähigkeit und Alpträume sind nur einige davon. Viele entwickeln ebenfalls eine Überempfindlichkeit gegenüber vielen anderen Chemikalien, auch wenn diese nur in geringen Konzentrationen vorkommen.
Lange leugneten die Experten einen Zusammenhang zwischen den Beschwerden der Betroffenen und der PCP-Exposition. Selbst als sich die Hinweise verdichteten, legte das Bundesgesundheitsamt eine Studie vor, die jede Kausalität leugnete. 1992 endlich fand der bisher größte deutsche Umweltstrafpozeß statt, in dem Betroffene gegen eine Herstellerfirma klagten.
Ursel Jüdt-Duve und Norbert Jüdt, beide selbst PCP-geschädigt und aktiv in der Betroffenenberatung, haben in sorgfältiger Kleinarbeit in ihrem kürzlich erschienenen Buch die historischen, medizinischen, baubiologischen, juristischen und politischen Aspekte des PCPs zusammengetragen. Dabei betrachten sie PCP nicht als „Betriebsunfall“ der Chemie, sondern als eine Leitsubstanz für den leichtfertigen Umgang mit chemischen Substanzen. Expertenmeinungen, Grenzwerte und Richtwerte werden in ihrem Buch kritisch hinterfragt. Ausführlich erläutern sie die Kritik an den Methoden und Schlußfolgerungen des BGA- Forschungsberichts.
In einem praktischen Teil, der etwa die Hälfte des Buches einnimmt, stellen sie die Schwierigkeiten einer aussagekräftigen PCP-Diagnostik dar, die typischen Laborparameter, verschiedene konventionelle und alternative Therapieansätze und diskutieren die Probleme der unterschiedlichen PCP-Nachweismethoden. Ergänzt wird dies durch einen kritischen Fragenkatalog zu den Laboranalysemethoden, mit dessen Hilfe die Qualität eines Labors überprüft werden kann. Dazu geben sie ausführliche Hinweise zur Sanierung PCP- belasteter Räume und erläutern die Chancen von Schadensersatzprozessen.
Entstanden ist ein informatives, umfangreiches und verständliches Handbuch, das großes Gewicht auf die gesellschaftspolitische Dimension des Problems legt, und sicher nicht nur für Betroffene und Fachleute, sondern auch Verbraucherberatungen, Bürgerinitiativen und alle umweltpolitisch Interessierten hilfreich ist. Claudia Schulze
Ursel Jüdt-Duve, Norbert Jüdt: „PCP nicht nur in Holzschutzmitteln – Ein Wirkstoff vor Gericht“. Vorsatz-Verlag, 247 Seiten, 29,80 DM
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