PCB-Skandal bei Envio: Vergiftet dank Behördenversagen

Unabhängiges Gutachten bestätigt: Mangelhafte Kontrollen machten PCB-Verseuchung hunderter Arbeiter der Dortmunder Giftfirma Envio überhaupt erst möglich.

Giftzentrale: Das PCB-Hauptquartier in Dortmund. Bild: dpa

DORTMUND taz | Behördenversagen ist der Grund für die Vergiftung hunderter Arbeiter und Anwohner der Dortmunder Entsorgungsfirma Envio mit erbgutschädigenden, potenziell krebserregenden Polychloriererten Biphenylen (PCB). Das ist das Fazit eines von der nordrhein-westfälischen Landesregierung in Auftrag gegebenen, bisher unveröffentlichten Gutachtens des unabhängigen Prognos-Instituts.

Die 128-seitige Expertise, die der taz vollständig vorliegt, bemängelt massive "Defizite der Anlagenüberwachung": So seien "unangekündigte Kontrollen und behördlich veranlasste Probenahmen und Analysen" nur unzureichend durchgeführt worden. Die PCB-Verseuchung des Dortmunder Hafens sei deshalb "nur zufällig" durch ein "in der Nähe der Anlage durchgeführtes Messprogramm" entdeckt worden. Das lasse befürchten, dass noch heute "ähnliche Fälle nicht verhindert" werden könnten.

Die Dortmunder Giftfirma Envio hatte Arbeiter und Anwohner bis April 2010 mit PCB verseucht. Dabei gehören die Chlorverbindungen zu den zwölf gefährlichsten Giftstoffen überhaupt und sind seit 2001 verboten. Bei Envio aber öffneten schlecht bezahlte Leiharbeiter teilweise ohne jede Schutzkleidung hochgradig PCB-belastete Elektrobauteile wie Transformatoren und Kondensatoren – und hatten so Hautkontakt mit dem Gift, atmeten PCB-haltige Stäube ein.

Umgebung durch geöffnete Hallentore kontaminiert

Durch geöffnete Hallentore wurde auch die Umgebung kontaminiert. Schon heute könnten bei den Vergifteten "Hautveränderungen, Auswirkungen auf das Nervensystem, Veränderungen im Hormonhaushalt" beobachtet werden, so der Aachener Arbeitsmediziner Thomas Kraus.

Envio-Geschäftsführer Dirk Neupert aber ließ verseuchte Transformatoren sogar aus der Untertage-Giftmülldeponie Herfa-Neurode nach Dortmund schaffen – Neupert hatte in den Elektrobauteilen enthaltene Edelmetalle als Geldquelle entdeckt. Zwar gilt Herfa-Neurode als größtes Giftgrab der Welt – doch die Kontrollbehörden der zuständigen Bezirksregierung in Arnsberg schauten weg: Trotz mehrerer anonymer Anzeigen glaubten die Beamten den Versicherungen Neuperts, Untertage-Transformatoren würden nicht verarbeitet.

Dabei hätten es die Arbeitsschützer besser wissen müssen: Ihre eigene Behörde sammelt Frachtpapiere – sogenannte Begleitscheine – aus denen eindeutig hervorgeht, dass tausende Tonnen der zum Teil zimmergroßen Transformatoren nach Dortmund geliefert wurden. "Unverständlich" sei, dass "zu keinem Zeitpunkt die abrufbaren Begleitscheininformationen genutzt worden sind", kritisieren die Prognos-Gutachter. Denn dann wären "die anonymen Hinweise belegt und die Aussagen des Betriebsleiters widerlegt worden".

NRW-Umweltministerium prüft

Bestätigt werden so Recherchen der taz, die die anonymen Anzeigen zusammen mit 482 Seiten Genehmigungen (PDF) und 440 Seiten aus der Verfahrensakte (PDF) der Arnsberger Bezirksregierung schon im Vergangenen November online veröffentlicht hatte. Auch eine Übersicht der Frachtpapiere (PDF) steht seit Anfang März im Netz.

Für die Arnsberger Beamten ist das schmerzhaft. Mittlerweile interessiert sich auch das ihnen vorgesetzte NRW-Umweltministerium für ihre dort einsehbaren Unterlagen: "Derzeit wird geprüft", heißt es in einer Vorlage aus Düsseldorf, "ob der fachaufsichtliche Bericht aufgrund zusätzlicher Erkenntnisse, die sich aus der Veröffentlichung durch taz.de von Akten der Bezirksregierung Arnsberg ergeben, nochmals geändert werden muss".

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