PARTEIEN: Piraten stellen sich auf
Brav wie alle anderen Parteien haben die Piraten ihre Kandidaten aufgestellt. Diskussionen gab es keine - schwierigstes Thema war die Auslegung der Wahlordnung
Sonntagmittag, es ist kalt im Versammlungssaal des Helene Kaisen-Bürgerhauses in Gröpelingen. Offenbar war niemand auf Heizen eingestellt. Die 24 stimmberechtigten Mitglieder der Bremer "Piraten" wärmen den Saal auch nicht, sie sitzen ruhig da über Stunden, malen Kreuze auf Stimmzettel, heben die Hände zur Abstimmung. Hitzige Debatten gibt es nicht - man ist sich irgendwie einig. Immerhin tritt hier die "Partei der Informationsgesellschaft" an, das Modernste, was die Parteienlandschaft zu bieten hat. Sie stehen für "Transparenz, Bürgerbeteiligung und Bildung".
Ein außerordentlicher Landesparteitag war einberufen, es geht um die Positionierung für die Bürgerschaftswahlen 2011. Ja, die Bremer Piraten wollen antreten. Da müssen einige Formalitäten erledigt werden, in die sich die Köpfe der Piraten vertieft haben. Erich Sturm, der Sprecher, rät dringend, erst einmal diese Dinge zu erledigen, dann erst zum Programm zu kommen, der Entwurf sei auch noch alles andere als fertig.
Die Versammlung folgt ihm wie in allen wichtigen Fragen. Von den 24 stimmberechtigten Mitgliedern sind 20 Männer, die meisten zwischen 25 und 35 Jahren alt. Sie sitzen die langwierigen Wahlvorgänge so ruhig ab, als hätten sie jahrelang in einer Schülervertretung gelernt, dass das die wahre Demokratie ist.
Erich Sturm ist IT-Fachmann, mit seiner Firma arbeitet er im medizinischen Bereich für Arzt-Praxen. Platz 1, also "Spitzenkandidat", erklärt Sturm, das bedeute: Immer im Rampenlicht der Medien, nicht jeder wolle das. Immerhin zwei Gegenkandidaten gibt es für Platz eins - fordern die Vorstandskollegen Arend Vogtländer und Sven Schomacker den Chef heraus? So wollen sie das sicher nicht verstanden haben. Beide sitzen während der Versammlung im "Präsidium" neben Sturm und sind im Landesvorstand im engeren Team. Ihre Gegenkandidatur ist nicht bös gemeint. Sturm bekommt die absolute Mehrheit der 23 abgegebenen Stimmen, die beiden bekommen konkurrenzlos die Plätze 2 und 3.
Frauen gibt es vier in der Versammlung, vier von 24, sie führen Protokoll, sie werden gegenüber dem Wahlamt die Rechtmäßigkeit des Protokolls beeiden. Nur kandidieren, das tun sie nicht. "Die wollen nicht", erklärt Sven Schomacker. Als es um Platz sechs geht, sagt der Versammlungsleiter Mario Tants aus Bremerhaven: "Ein bisschen wenig feminin die Liste." Für eine Quotierung aber ist es zu spät.
Bei der Vorstellung der Kandidaten ist das "ihr kennt mich ja" der am häufigsten fallende Satz. Irgendwie ist man sich auch einig. Imperatives Mandat? Wäre schön, sagt Schomacker. Ist aber nicht erlaubt. Erich Sturm macht klar, dass er nicht gegen sein Gewissen stimmen werde. Klar soll die Partei gefragt werden - wenn genügend Zeit ist.
Aber da ist auch Kandidat Nummer sieben, der parteilose Christian Conrad. Ein Selbständiger, wie er selbst betont, der die Piraten von außen unterstützen will. Die Selbständigen waren in der Geschichte die wahren Revolutionäre, findet er. Und er erklärt, wo die Selbständigen heute der Schuh drückt: GEZ-Gebühren für das Büro, hohe Umsatzsteuer für kleine Unternehmen, die nichts absetzen können. Es gibt nur eine Frage an ihn: Warum ist er nicht Mitglied? Er weicht der Antwort aus. Es reicht für Platz 7.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“