: PADDY HOSENRUNTER UND DIE SCHLAMMSCHLACHT Von Ralf Sotscheck
Britische Parlamentswahlen sind eine großartige Erfindung. Immer wenn der Urnengang bevorsteht, stellen die drei großen Parteien ihre Debatten um die — ohnehin ständig geringer werdenden — politischen Unterschiede hintan und greifen statt dessen in die Kiste mit den schmutzigen Tricks.
Über den Labour-Vorsitzenden Neil Kinnock wurde jetzt „enthüllt“, daß er in Wahrheit vom Kreml gesteuert ist — ausgerechnet Kinnock, ein (auf)rechter Sozialdemokrat bis in die Socken. Die Beweise sprachen jedoch für sich: Kinnock hatte den Moskauer Botschafter in London zu Gesprächen getroffen. Das hatte zwar auch Margaret Thatcher regelmäßig getan, doch zu ihrer Zeit blieb so etwas geheim. Andere Labour- Abgeordnete beklagten in letzter Zeit eine verdächtige Häufung von Einbrüchen in ihre Büros. Dabei blieben die Wertgegenstände stets unangetastet. Entwendet wurden lediglich Computer-Disketten mit Materialien zur Labour-Wahlkampfstrategie. Wo Crime ist, darf freilich auch der Sex nicht fehlen: Den bisher größten Unterhaltungswert hatte der „Skandal“ um den Chef der Liberalen Demokraten, Paddy Ashdown. In der vergangenen Woche wurden bei seinem Rechtsanwalt der Wandsafe aufgebrochen und verschiedene Dokumente gestohlen, darunter ein Memorandum über eine fünf Jahre zurückliegende Affäre mit seiner Sekretärin Tricia Howard. Noch am selben Abend bot der Dieb, der sich selbst als „Tory-Anhänger“ bezeichnete, die Unterlagen dem Boulevardblatt 'News of the World‘ an, das mit Freuden zugriff. Ashdown, der bis dahin als Inbegriff des treuen Familienvaters galt, wollte die Veröffentlichung durch eine einstweilige Verfügung verhindern. Rückendeckung erhielt er dabei von Abgeordneten aller Parteien — besonders von den verheirateten. Doch vergeblich: Die Presse taufte den entlarvten Tugendbolzen umgehend „Paddy Pantsdown“ (Paddy Hosenrunter).
Nur der unabhängige Fernsehsender Channel Four versuchte, sich von der Schmutzkampagne zu distanzieren. Das ging jedoch daneben: Nachrichtensprecher John Snow hatte einen Filmbeitrag gerade mit den Worten angekündigt, daß der Dieb der Ashdown-Papiere fatal an den Geheimdienstagenten erinnere, der in den 60er Jahren eine Verleumdungskampagne gegen den damaligen Premierminister Harold Wilson geleitet hatte, als im Bild Des Wilson erschien — der Berater Paddy Ashdowns. „Heh, Moment mal“, brüllte Snow im Hintergrund. „Das ist ja der falsche Typ. Das ist doch nicht der verdammte Agent.“ Zwar wurde der Film sofort gestoppt, doch es war zu spät. Die Nachrichten waren schlagartig zur Satire geworden. Snow brachte fortan keinen Satz mehr heraus, ohne zu kichern.
Ashdown beschloß, die Flucht nach vorne anzutreten, um den Schaden zu begrenzen. In einer Bambi- verdächtigen Inszenierung trat er mit Frau Jane und Freundin Tricia reumütig vor die Kameras, betonte jedoch, das Ganze sei unter „Jugendsünde“ abzubuchen. Jane habe vollstes Verständnis, fügte er hinzu und umarmte die pausenlos nickende Ehefrau. Der Trick funktionierte: Laut Meinungsumfragen war Ashdown in der Beliebtheitsskala am nächsten Tag um 13 Prozent gestiegen. Den Torys nahestehende Kreise dementierten inzwischen Gerüchte, wonach Premierminister John Major ein intimes Rendezvous mit seiner Sekretärin in einem Hotel im Londoner Vergnügungsviertel Soho unter Anwesenheit der Presse plane.
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