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Otto Mühls EntschuldigungsschreibenDas Dilemma der sexuellen Entgrenzung

Otto Mühl, Wiener Aktionist, Kommunegründer und Kinderschänder hat sich bei der Eröffnung einer Ausstellung zu seinem 85. Geburtstag bei den Opfern seiner sexuellen Übergriffe entschuldigt.

Eindeutig ist: das mit dem Überschreiten der Grenzen jener Ordnung, die damals "Spießertum" hieß, hat nicht geklappt. Hier ein Ausstellungsstück aus dem Jahre 1977. Bild: dpa

Otto Mühl, der Wiener Aktionist. Otto Mühl, der Kommunegründer und Kinderschänder. Otto Mühl also hat sich entschuldigt. Bei der Eröffnung einer Ausstellung im Wiener Leopoldmuseum aus Anlass seines 85. Geburtstages ließ er einen Brief verlesen, in dem er sich bei den Opfern seiner sexuellen Übergriffe entschuldigt und zugibt, dass er sich "in einigen Sachen grundsätzlich geirrt" hat und in vielen Bereichen gescheitert ist. Was ist es denn nun, was da gescheitert ist?

Eindeutig ist: das mit dem Tabubruch, das mit dem Überschreiten der Grenzen jener Ordnung, die damals "Spießertum" hieß, hat nicht geklappt. Was die RAF im Politischen, das ist Otto Mühl im Sexuellen: der Punkt, an dem die Sache mit der Befreiung in ihr Gegenteil kippt. Deshalb ist das, was in der burgenländischen Kommune Friedrichshof geschehen ist, nicht nur die private Geschichte der Kommunarden - für die Otto Mühl sieben Jahre im Gefängnis saß. Es ist eine Geschichte, die uns alle betrifft. Denn am Friedrichshof ist die sexuelle Revolution gescheitert.

Die intendierte Befreiung von den Zwängen einer kleinbürgerlichen, patriarchalen Moral verkehrte sich in den Aufstieg einer allmächtigen Figur: eines despotischen, vergewaltigenden Urvaters, der alle Frauen (und Kinder) des Stammes sexuell ausbeutete. "Es sind die fundamentalistischen Kritiker", schrieb Slavoj Zizek in ganz anderem Zusammenhang, "welche den Weg pflastern für neue totalitäre Führer, die Freuds obszönem Urvater haargenau gleichen." Jene Figuren, die eben das Genießen der Anderen verhindern, weil sie das ganze Genießen alleine auf sich ziehen. Statt zur Befreiung hat dies zu einer Entmündigung geführt, die alle Kommunarden zu Kindern dieses Urvaters regredieren ließ.

Isolde Charim

ist freie Publizistin und lebt in Wien.

Wenn der Kurator einer Otto-Mühl-Ausstellung im Wiener Leopoldmuseum nun meint, es sei an der Zeit, Leben und Werk zu trennen und nur die Bilder zu betrachten, so verkennt er, dass ebendiese Konstellation beim Betrachter als Schauder wirkt. Es ist eine negative Faszination, ausgelöst durch den Kontext, in dem die Werke entstanden.

Diese Geschichte einer sexuellen Entgrenzung, einer dionysischen, rauschhaften, zügellosen Sexualität war eine kollektive Erfahrung der 70er Jahre. Das muss nicht heißen, dass sie jeder Einzelne wirklich gemacht hat. Dafür gab es Figuren wie Mühl, die öffentlich, gewissermaßen stellvertretend den Exzess gelebt haben. Genau deshalb ist dies auch nicht die private Geschichte des Herrn Mühl - weder der Exzess noch dessen Scheitern.

Was aber bedeutet das für uns heute? Wir können weder hinter die sexuelle Revolution noch hinter deren Scheitern, weder hinter den dionysischen Sex noch hinter dessen Pervertierung zum Status quo ante zurück. Wir wissen um die Gefahren einer völligen Entgrenzung, sind aber nicht mehr bereit, einer restriktiven Sexualmoral zu folgen. Wir sitzen vielmehr mitten in dem Dilemma, das die sexuelle Entgrenzung eröffnet hat: in der "Unmöglichkeit, das Dionysische mit einer kontinuierlichen Lebensweise in Einklang zu bringen", wie Charles Taylor jüngst schrieb.

So ist etwa die Schwierigkeit, das Sinnliche im Rahmen einer anhaltenden Beziehung zu halten, keine persönliche Problematik, sondern Folge der kollektiven Rauscherfahrung, die, uneinholbar, dennoch zur Messlatte wird. Jenseits der persönlichen Lösungsversuche gibt es jedoch einen gesellschaftlichen Umgang mit dem Dilemma, der lautet: Privat lebt man permissiv, frei, zügellos (man versucht es zumindest), im Arbeitsbereich jedoch akzeptiert man die Regeln. Das ist eine Art praktische Widerlegung Max Webers. Es ist eben doch möglich zu trennen - während man die Regeln der Lebensführung lockert, werden sie im ökonomischen Bereich beibehalten.

Selektive Ekstase und selektive Disziplinierung lautet die Parole der Postsexualrevolution. Nachts im Swingerclub, tagsüber im Büro. Kein leichter Spagat, den dieser nüchterne Hedonismus zwischen Dionysischem und Apollinischem versucht. Eines bedeutet er in jedem Fall: ständigen Schlafmangel.

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7 Kommentare

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  • MD
    Maria Diederichs

    Sehr geehrte Frau Charim,

     

    nicht ganz leicht zu verstehen, aber die Botschaft passt: es ist zu einfach das alles als Privatsache von Otto mühl und der kommune zu verdammen.

     

    Ich möchte Sie auf mein Buch hinweisen: Wanderer in zwei Welten - vom Leben in der Kommune des Otto Mühl.

    erschienen bei www.ritterbooks.com

    Einfach, bildhaft, warum es dazu kam, und warum es scheitern mußte.

    Viele Grüße Maria Diederichs

  • DE
    Dr. Elisabeth Altenberg

    Meiner Meinung nach hat sich Otto Mühl nur aus einem einzigen Grund entschuldigt, weil das dem Verkauf seiner Bilder dient und weil das vermutlich vom Betreiber des Leopold Museums erwartet wurde. Ob Otto Mühl die Entschuldigung selbst geschrieben hat, ist sehr zu beweifeln. Er lebt in Protugal mit einem kleinen Kreis von Anhängern, ist schwer krank und ein Pflegefall. Er hatte bisher nie eingesehen, dass er Unrecht getan hat, hat zwar zugegeben, dass er Fehler gemacht hat, das bezog sich aber mehr auf die Erwachsenen in der Kommune und seine Rolle als Übervater.

    Was der Mißbrauch für die damaligen Mädchen bedeuted hat, hat er aber offensichtlich nie begriffen.

    Die Opfer, die ehemaligen Kinder, heute junge Frauen, leiden noch immer unter dem, was er ihnen damals angetan hat, mit der Begründung, ihre sexuelle Erziehung in die Hand nehmen zu müssen.

     

    Otto Mühl ist heute einer der angesagtesten Künstler in Österreich, seine Bilder hängen in allen österreichischen Museen, die zeitgenössische Kunst ausstellen.

    Vor kurzem gab es eine große Verkaufssaustellung im Museumsquartier mit zahlreichen Bildern Otto Mühls, bei der alle namhaften österreichische Galeristen ihre Bilder ausstellen. Im MAK, (Museum für angewandte Kunst) läuft derzeit die Ausstellung "exzess art" mit Bildern Otto Mühls, und schließlich die große Ausstellung im Leopold Museum anläßlich seines 85 Geburtstages.

    Otto Mühl ist in Österreich durch Skandale berühmt geworden, zuerst mit dem Aktionismus, dann mit der Kommune, zum Schluß mit dem Mißbrauch und seinem Aufenthalt im Gefängnis. Er war stets ein willkommenes Thema für die Presse und der Mißbrauch an den Kindern hat noch weiter zu seiner Berühmtheit beigetragen. Die nicht ausgestellten Bilder, die Serie "Unfälle im Haushalt", auf denen die mißbrauchten Mädchen dargestellt sind, werden durch das Geheimnis, das sie umgibt, dass sie eben nicht ausgestellt werden dürfen, im Wert lwomöglich noch steigen. Gerade, dass man sie nicht sehen kann, gibt der Phantasie viel Raum. Die tatsächlichen Bilder würden dagegen banal erscheinen.

    Im Moment ist es oportun und dem Verkauf förderlich, wenn eine Entschuldigung des Malers vorliegt, also liefert Otto Mühl diese Entschuldigung.

    Den Opfern ist damit nicht gedient und die große Anerkennung als Künstler, die ihm jetzt von der österreichischen Öffentlichkeit zuteil wird, muß für sie demütigend sein.

  • P
    pedant

    Wäre es nicht richtiger, wenn es heißen würde, Otto Mühl bittet seine Opfer um Entschuldigung? Er selber kann sich doch nicht entschuldigen.

    Man weiß zwar, wie's gemeint ist, aber eine überregionale Tageszeitung sollte sich schon bemühen, das richtig zu formulieren.

  • FN
    Felix Nagel

    Als junger Mann bin ich immer wieder fasziniert wie einfach sich die Generation um euch Hippies was von Sexueller Revolution erzählen ließ obwohl es eigentlich schlicht um wie auch immer gearteten Missbrauch ging.

     

    Schockiert bin ich davon das diese Leute heutzutage, Jahrzehnte später und nach dem Über-Bord-Werfen all eurer verqueren Überzeugungen, immer noch Anerkennung und gesellschaftlichen Status genießen.

  • BK
    brotloser Künstler

    Wer bitteschön kauft Bilder von einem Kinderschänder??

     

    Macht euch doch bitte einmal bewusst, über wen ihr hier berichtet und wessen Verkaufszahlen dadurch steigen.

     

    Der Vergleich mit der RAF ist auch lächerlich. Kleine Mädchen zu verführen hat wohl kaum etwas mit politischem Aktivismus zu tun.

  • W
    Wilhelm

    Mein Gott, was für ein Scheiß! Hier wird versucht, aus einem Verbrecher, den man in früheren Zeiten kastriert und gerädert hätte, im gehörigen Abstand zu seinen Untaten zu einem Helden jener zu stilisieren, die mit ihm die Weiber und Kinder teilten, inzwischen aber politische Ämter innehaben und uns, dem Volk, ihre heutige Moral vorschreiben wollen.

  • GW
    georg wagner

    Sehr geehrte Frau Charim,

     

    es ist sicherlich nicht der Spagat den sie beschreiben der für "das Scheitern" der sexuellen Revolution, bei Ihnen vertreten durch Otto Mühl, stehen soll.

    Das ist zu einfach. Zu bürgerlicher Blickwinkel - oder in Ihren Worten: zu apollinisch...

     

    Wenn obiger sich für seine Verruchtheiten entschuldigt so mag das am milden Alter liegen - vielleicht hat er noch sein Haus in Ordnung zu bringen, oder vereint sich mit den christlichen mystischen Prinzipien des Daseins.

     

    Nach Nietzsche endet jede Romantisierung mit dem Christentum, für das wir Deutsche ja besonders anfällig sein sollen.

     

    Möchte eine alternative Sexualität (im damaligen Kontext) tatsächlich gelebt werden, braucht es den Souverän. Das ist der, der sich nicht entschuldigt. Er begeht kein Unrecht, da er die Moral nicht kennt.