Oswald Metzger über den Parteitag: "Grünen-Chefs wollen sich freikaufen"
Vor dem Parteitag der Grünen beklagt der Landtagsabgeordnete Metzger ein "veritables Führungsproblem" seiner Partei. Die Delegierten hätten "die Wahl zwischen Pest und Cholera", sagte er der taz.
taz: Herr Metzger, was muss der Grünen-Parteitag in Nürnberg tun, damit Sie austreten?
Oswald Metzger: Nürnberg ist die Nagelprobe für mich: Wie viel Vernunft haben die Grünen noch? Ich will die Hartz-IV-Erhöhung auf 420 Euro draußen haben. Wir dürfen kein Füllhorn von Wohltaten ausschütten, statt individueller Transfers müssen wir unser Augenmerk doch auf Kinderbetreuung und Bildung legen. Zweitens will der Vorstand, dass die Grünen einen individuellen Anspruch auch in Partnerschaften fordern: Wenn eine Millionärin einen bedürftigen Partner hat, ist sie nach grüner Lesart nicht mehr unterhaltspflichtig. Solche Flausen müssen raus.
Wenn der Parteitag nicht folgt, sind Sie weg?
Nein. Aber, wenn ich mit meinen Geschichten unter der Wahrnehmungsschwelle lande, wäre das ein Signal. Es spielt auch eine Rolle, wie die Debatte geführt wird. Ich werde hören, was abgeht, rede mit Leuten, die zum ökolibertären Häuflein der Aufrechten gehören.
Sie nannten Hartz IV eine "Stilllegungsprämie", Kinder von Sozialhilfeempfängern stopften Kohlenhydrate und Alkohol in sich rein.
Ich habe nicht gesagt, alle Sozialhilfempfänger, sondern viele. Man muss das im Zusammenhang sehen: Ich habe die Aussage auf Sozialhilfebiografien in der zweiten oder dritten Generation bezogen. Die Äußerungen sind sicher drastisch, das gebe ich zu. Ich habe da aber kein Problem. Es fördert Antriebsarmut, nur Schecks an das Volk zu verteilen.
Die Parteivorsitzende Roth will, dass Sie sich schämen.
Nee. Ich schäme mich manchmal, aber hier muss ich Claudia Roth sagen: dezidiert nicht.
Helfen Sie nicht den Linken, den Parteitag aufzumischen?
Wir haben doch wirkliche Probleme: programmatisch die Verschiebung ins Wolkenkuckucksheim. Dazu kommt ein veritables Führungsproblem. Fünf Leute, die sich wechselseitig beäugen und keine Führung vorgeben. Die Chefs eint nur die Angst, wieder zu verlieren, wie beim Afghanistanparteitag. Deshalb wollen sie sich per Grundsicherungsantrag mit aufgemotzten Wohltaten freikaufen, die fast so teuer sind, wie das bedingungslose Grundeinkommen. Das ist die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Würden Sie sich ohne die Grünen nicht langweilen?
Ich bin mit 19 in die SPD eingetreten. Als ich 1979 ausgetreten bin, habe ich gesagt: Nie mehr in einer Partei. Bevor ich dann doch Grünen-Mitglied wurde, bin ich parteilos in den Gemeinderat gegangen und in den Kreistag. Ein politisches Leben gibts auch jenseits von bestimmten Parteien.
Kommen Sie: Sie würden ohne die Grünen vorm Fernseher sitzen und gnadenlos Kohlenhydrate in sich stopfen.
Ich würde mich vielleicht weniger aufregen. Aber ich würde die Grünen vermissen. Ich bin hin- und hergerissen.
INTERVIEW: GEORG LÖWISCH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch