Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs zurück: Songs, die nicht dumm machen

Die Hamburger Postrock-Band mit dem vielleicht längsten Namen überhaupt geht auf Tour. Ihr erfolgreichstes Album erlebt dabei ein Revival.

Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs strecken Stühle in die Höhe

Stuhlkreis Postrock-Ahoi: Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs Foto: Simone Scardovelli

Was ist Spielfreude? „Spielfreude ist“, schrieb Kolossale-Jugend-Sänger und Gitarrist Kris­tof Schreuf­ 1996 zur ersten­ Veröffentlichung der EP „Leichte Teile“ von Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs in der taz, „wenn man sich seiner Sache so sicher sein kann, dass man sich im Arrangement oder beim musikalischen Albern etwas herausnimmt, um festzustellen, dass aus dem Albern beim Spielen etwas Morgenröte­schönes entsteht“. Zwei Jahre später legten Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs nach und veröffentlichten die EP „Kleiner Rock“. Beide erschienen ebenfalls 1998 zusammengefasst als Album.

Das Label Tapete ist seit Längerem dabei, Musik, die man damals etwas doof unter dem Namen Hamburger Schule zusammengefasst hat, wiederzuveröffentlichen und damit auszugraben, aber auch zugleich zu historisieren. „Leichte Teile, Kleiner Rock“ ist jetzt erstmals auf Vinyl erhältlich, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs gehen damit auf Tour und spielen die fast 30 Jahre alten Songs.

Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs: „Leichte Teile, Kleiner Rock“ (Tapete/Indigo)

Live: 10. 11. „Chez Heinz“ Hannover; 11. 11. „Kleine Freiheit“ Osnabrück; 13. 11. „Druckluft“ Oberhausen; 14. 11. „Subway“ Köln; 16. 11. „Import/Export“ München; wird fortgesetzt

Jene Spielfreude, von der der 2022 verstorbene Kristof ­Schreuf sprach, kriegt man unüberhörbar mit, zum Beispiel in dem einzigen Instrumental des Albums, „Andere Baustelle, ähnlicher Auftrag“. Wie da ein Blasinstrument, eventuell eine Tuba, auftaucht und das rhythmisch vertrackte Postrock-Gefrickel freundlich Richtung Katharsis auflöst. Davon ab aber äußert Freude auf „Leichte Teile, Kleiner Rock“ sich, anders als auf den Vorgängern „Absolut nicht frei“ und „Keinseier“ nicht im Vertrackten, sondern im direkt Drauflosgeschraddelten.

Laut nachdenken

Das Vertrackte ist in die Songtexte von „Suppenwürfel“-Sänger Carsten Hellberg gerutscht. Er singt erstmals durchgängig auf Deutsch, zuvor wurde Englisch oder eben einfach gar nicht gesungen. In den Texten wird, so ahnt man zumindest, vom Ende einer Beziehung erzählt. Obwohl, „erzählen“ trifft es nicht wirklich. Hellberg denkt in seinen Texten laut nach.

„Und ich denke manchmal, dass wir uns so gut verstehen, liegt doch auch daran, dass wir uns im andern sehen“. So weit, so schön. Aber dann, Problem, Problem: „Und ich denke manchmal, dass wir auseinandergehen, liegt doch auch daran, dass wir uns so gut verstehen“. Alltag in einem Lied von zwei Menschen. In den Songtexten von „Leichte Teile, Kleiner Rock“ werden die Gefühle und Verhältnisse gewendet und reflektiert.

Text und Musik treiben immer wieder buchstäblich nach vorne („Einmal vorne sein / einmal nur sich selbst überholen / Schauen, wer dann kommt“), aber das geht nie ohne Widerspruch, schon weil man sich beim Nachvorne­gehen ja immer selbst mitnimmt. „Wir sind so gestört wie verlässlich/Und Misstrauen macht uns so hässlich“.

Kurzer Schreck in der Herzgegend

Der Song heißt „Respekt vor dem eigenen Hau“ und gehört zu den Rohdiamanten auf „Leichte Teile, Kleiner Rock“, in denen sich zart leiernde Schraddel­gitarren, Boller-Schlagzeug und warmer Bass besonders schön ineinanderdrehen. Hellbergs Gedankengebilde wirken derart abgeklärt, dass man immer dann, wenn einer mal mit Karacho Richtung Herzgegend ausschert, einen kleinen Schreck bekommt.

„Ich hab so gehofft/Und ich dachte, ich wär bereit /Doch was jetzt vor mir liegt/Ist meine eigene Einsamkeit“, heißt es in „Von Haus aus allein“, das Lied endet in einem Verzweiflungsmonolog („So, ich verlasse jetzt mal die klassische Liederform, weil von wegen Abstraktion, das ist doch wohl zum Aus-der-Haut-Fahren, dass man sich immer so kreuzblöd anstellt“).

Die Gleichzeitigkeit von Aufwühlung und Reflexivität erzeugt Spannung, aber keine Verspanntheit und ist auch für die damaligen Hamburger Verhältnisse sehr besonders. Vielleicht ist es auch das, was Kris­tof Schreuf, der sich auf dieser Baustelle sehr gut ausgekannt haben wird, meinte, wenn er schreibt, dass die 'Suppenwürfel „rockende Rockmusik“ einsetzen würden, aber „ohne die dazugehörigen hässlich machenden Haltungen“.

Songs, die nicht dumm machen, die nervtötende Schlauberger-Position aber auch nicht haben wollen. Weil der Auftrag auf dieser Baustelle nicht ist, besonders clever zu erscheinen, sondern etwas loszuwerden. „Reiß das Maul auf / und beende diese Phase“.

Diese Musik klingt so, dass man sich schon fragt, wie nach diesem Album Schluss sein konnte. Die Band spielt, als hätte sie sich gerade eben versehentlich neu erfunden, Spielfreude, Morgenröte. So euphorisch wie die Gitarren im Stück „Scheint gut“ klangen Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs sonst nie. Von da aus hätte es überall hingehen können.

Aber das Finale wartet lakonisch am Schluss des Albums, „Anfang im Ende“, ein Stück, das die zehn Jahre davor betrachtet und darüber sinniert, was man eigentlich währenddessen gemacht hat. „Riss das Maul auf und fing an mich zu buchstabieren / Schrieb ins Weißbuch das Schwarzzeug“ und so weiter.

„Leichte Teile, Kleiner Rock“ bleibt eines der besten Alben aus dem an besten Alben nicht armen Hamburg der neunziger Jahre.

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