: Ostmark bleibt Straße
■ Anwohnerversammlung in Bremerhaven-Suhrheide gegen Umbenennung nach Carl von Ossietzky / SPD will den eigenen Beschluß jetzt wieder kippen
Soll die Bremerhavener „Ostmarkstraße“ in Zukunft nach Carl von Ossietzky heißen? Am Mittwoch abend stritten im überfüllten Saal der Suhrheider Gaststätte „Zu den vier Linden“ AnwohnerInnen, Stadtverordnete und der SPD -Unterbezirks-Vorsitzende Werner Lenz darum. Am 9. Juni hatte die Stadtverordneten-Versammlung auf Antrag der Grünen mit den Stimmen von SPD und FDP der Umbenennung zugestimmt. Doch keiner hatte zuvor mit den Anwohnern gesprochen. Sie erfuhren vom neuen Namen ihrer Straße erst aus der Zeitung. Nach nur 50minütiger hitziger Debatte hatten sie sich am Mittwoch abend durchgesetzt: Die Umbenennung findet nicht statt. Der Ortsvereinsvorsitzende der SPD verteilte eine schon vorbereitete Presseerklärung, in der „mit Befriedigung zur Kenntnis genommen wird, daß die SPD-Fraktion bereit ist, den Beschluß der Stadtverordnetenversammlung zu revidieren.“
In der Stadtverordneten-Versammlung hatte der DVU -Abgeordnete F.W. Schmidt eine mit Lexikonverweisen gespickte Be
gründung gegen die Umbenennung gefunden: Die Bezeichnung „Ostmark“ reiche bis in die Zeit von Karl und Otto dem Großen zurück und sei während der „Hitler-Herrschaft“ sogar verboten worden, „weil Österreich als Einheit aus dem Bewußtsein verschwinden sollte“. Die DVU folgerte: „Wer den Namen Ostmark auslöschen will, wandelt auf den Spuren Hitlers.“ Die Rede wurde am Mittwoch als Flugblatt vor der Gaststätte verteilt. Doch Hans Altermann wurde trotzdem fast einstimmig ausgeschlossen.
Innerhalb weniger Tage hatten alle Bewohner bis auf zwei Urlauber eine Unterschriftensammlung gegen die Umbenennung unterschrieben. „Ostmarkstraße, ja! Carl-von-Ossietzky -Straße, nein!“ heißt ihr Motto.
Der Unterbezirksvorsitzende der Bremerhavener SPD, Werner Lenz, machte sich schon vor Bekanntwerden der Unterschriftenaktion gegen die Umbenennung stark. Auch am Mittwoch sah er „keinen sachlichen Grund, die Ostmarkstraße umzubenennen“: Die Straße heiße seit 49 Jahren Ostmarkstraße. Lenz wörtlich: „Dieser Begriff wurde nicht im dritten Reich erfunden“. Er stamme aus der Zeit von Otto und Karl dem Großen. Sein Fazit: „Es gibt keine belastenden Momente für diese Straße“.
Christian Bruns, SPD-Fraktionschef, entschuldigte sich, daß die Partei nicht vor dem Beschluß das Gespräch mit den Bürgern gesucht habe. Da die Namensgebung nicht gegen den Willen der Betroffenen durchgesetzt werden solle, werde die Fraktion beantragen, den Beschluß zu korrigieren, wenn sie die Bürger nicht vom neuen Namen überzeugen könne.
Ein Anwohner sagte: „Wir haben etwas dagegen, daß man unsere Straße nach 49 Jahren umbe
nennt.“ Er fürchtet Kosten und bürokratische Unannehmlichkeiten. Hinweise des Bremerhavener VVN -Vorsitzenden auf die historische Belastung des Namens gingen im unruhigen Gemurmel der Anwesenden unter oder werden mit Gegenfragen („Wie alt sind Sie?“) aufgefangen. Ein Bewohner schlug vor, Ossietzky im Zentrum der Stadt zu ehren, statt mit einer kleinen, popeligen Straße am Stadtrand.
Die anwesenden Grünen lenkten vorsichtig ein: Auch sie wollten den Bewohnern den Straßennamen nicht aufdrängen. „Wären
die Alteingesessenen, die 80jährigen, hierhergekommen“, sagte der Initiator der Unterschriftensammlung, „die wären handgreiflich geworden“. Die Anwohner - „lauter kleine Leute, Arbeiter, Angestellte, Beamte“ - erlebten die Umbenennung ihrer Straße als halben Umzug.
An einer Ehrung Carl von Ossietzkys will die SPD trotz geändertem Kurs in der Ostmark-Frage festhalten. Werner Lenz und der Ortsvereinsvorsitzende schlugen für den Nobelpreisträger die Bremerhavener Stadthalle vor.
Hans Happel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen