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Ostdeutsche PolitikerWer seid ihr denn?

Ohne Matthias Platzeck wird die Politik in den Neuen Bundesländern nun von unauffälligen Verwaltern geprägt. Die mögen keine schrillen Debatten.

Den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung feierten die Ostregierungschefs gemeinsam mit Klaus Wowereit (Berlin/West und Ost). Bild: dpa

BERLIN taz | Es gibt Rücktritte von Politikern, die plötzlich eine Brache sichtbar machen. Das war so, als Oskar Lafontaine 1999 als SPD-Chef demissionierte und man verwundert fragte, wo eigentlich der mächtige linke Flügel der SPD geblieben war. Er war ausgefranst, es gab ihn nicht mehr. Doch das war von Lafontaine wie von einer Fassade verdeckt worden.

Einen ähnlichen Effekt erzeugt der Rückzug des Potsdamer Ministerpräsidenten Matthias Platzeck. Er hatte zwar nicht viel Einfluss auf die nationale Politik, aber er hatte einen Namen in der Republik. Platzeck war ein Symbol für ostdeutsche Politik: 1989 Revolutionär, später populärer Ministerpräsident.

Nun ist die Fassade weg und der Blick fällt auf Ministerpräsidenten in Magdeburg, Schwerin und Erfurt, bei denen auch Politjournalisten erst mal grübeln müssen, ehe ihnen doch noch der Name einfällt. Die ostdeutsche Politik hat kein Gesicht mehr. In der CDU, der SPD und sogar der Linkspartei regiert im Osten (von Ausnahmen wie Katja Kipping abgesehen) der Typus des unauffälligen Sachwalters, der keinen Ehrgeiz oder keine Befähigung verspürt, auf der nationalen Bühne Karriere zu machen. Man bleibt lieber daheim im Überschaubaren, Vertrauten, Bekannten.

Das ist erstaunlich. Denn in CDU und SPD wird die politische Elite für den Bund zum großen Teil aus den Ländern rekrutiert. Wer in der Provinz Wahlen gewinnt, stabile Koalitionen schmiedet, Wahlkämpfe besteht und Ministertauglichkeit beweist, dem wird das oft auch für Berlin zugetraut. Und Wahlsiege sind die Hartwährung im parteiinternen Konkurrenzkampf. Doch aus den östlichen Ländern kommt nicht viel. Warum eigentlich? Warum bringt die Landespolitik im Osten kaum nach vorne drängende, aufstrebende Politiker hervor?

Vielleicht weil sich in Ostdeutschland seit gut zwanzig Jahren eine besondere Art von politischer Konsenskultur entwickelt hat. Das Parteiensystem war nach 1989 ein Import aus dem Westen. Im Osten hat man es übernommen, adaptiert, umgeformt. Im Westen gab es eine hochritualisierte Streitkultur zwischen links und rechts, SPD und CDU. Diese Inszenierungen wirken heutzutage oft leerdrehend, aber sie sind historisch gewachsen, in Kämpfen um die Ostpolitik, um 68, Schul- und Atompolitik. Streit gibt es in ostdeutschen Wahlkämpfen und Parlamenten auch. Aber die Konfrontationen zwischen Regierung und Opposition wirken, verglichen mit dem Westen, wie heruntergedimmt.

Onkelhaft, langwierig und gemütlich

Die Orientierung auf den Konsens ist auch ein Echo der Wendezeit, als die Alltagswelt in der Ex-DDR für alle rasant umgestülpt wurde. Aus der mehr oder weniger gemeinsamen Erfahrung des Umbruchs nach 1989 ist eine Kultur des Durchwurschtelns entstanden, die gleichgültig gegen große Erzählungen ist, ignorant gegen komplexere Problemlagen und ganz auf das Kleinteilige vor der eigenen Haustür fokussiert. Auch die Zusammensetzung der politischen Eliten beförderte diesen Blick nach innen. Die Ex-SED-Kader waren mit der Integration der abgewickelten DDR-Eliten beschäftigt, die importierten Wessis mussten sich erst mal in der Ostwelt zurechtfinden. Manche aus der technischen Intelligenz, etwa Matthias Platzeck und der Mediziner Wolfgang Böhmer, kamen durch die Wende zur Politik. Auch Naturwissenschaftler sind eher am praktischen Ergebnis interessiert, nicht unbedingt am scharf ausgetragenen Diskurs.

Es gibt im Osten eine stillschweigende, tief sitzende Abneigung gegen den Typus des Gesinnungspolitikers, der dem Gegner ritualhaft alles Übel der Welt ankreidet. Dieses Phänomen findet man links und rechts. Auf Parteitagen der Linkspartei zuckten Funktionäre aus dem Osten regelrecht zusammen, wenn Oskar Lafontaine zu lautstarken, aggressiven Tiraden gegen die politische Klasse anhob. Bei den onkelhaften, langwierigen, gemütlichen Erläuterungen von Lothar Bisky fühlte man sich viel wohler.

In all dem zeigt sich eine reflexhafte Abneigung gegen schrill ausgetragene Konflikte. Dies ist auch ein Echo der DDR-Gesellschaft, die ja kein Probenraum für öffentlich ausgetragenen Streit war und den Rückzug in die Nische als Fluchtweg anbot.

Nur wenige Ost-Politiker gehen nach Berlin

Dass die intellektuellen Debatten der letzten zwanzig Jahre, ob über Krieg, Nazivergangenheit, Sozialsystem, Rassismus oder Islam, weitgehend ohne ostdeutsche Beteiligung geführt wurden, passt in das Bild. Man ist auf sich selbst zurückgezogen, mag das Leise, meidet das Deutliche, scheut die große Bühne.

Kurzum: In Ostdeutschland hat sich eine politische Kultur entwickelt, die den Konsens und die sachliche Lösung schätzt. Sie bringt Figuren wie Ministerpräsident Erwin Sellering hervor, der aus dem Westen stammt und mit seiner ausgleichenden Art in Mecklenburg-Vorpommern fast beliebter ist als Angela Merkel. Offenbar ist im Osten ein Belohnungssystem gewachsen, in dem das Ehrgeizige, Aufstrebende, Laute nicht gedeiht. Die ostdeutsche Politik ist kein Biotop für Aufsteiger.

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9 Kommentare

 / 
  • K
    Kritik

    "Kurzum: In Ostdeutschland hat sich eine politische Kultur entwickelt, die den Konsens und die sachliche Lösung schätzt."

     

    Ist das die Quintessenz? Mir war ja bekannt, dass sich gerade bei linksintellektuellen Debatten vieles eher um die Diskussion an sich, anstatt um deren Inhalt, dreht. Probleme besprechen ja, aber lösen sollen sie doch bitte andere (welche man dafür dann wieder in die Kritik nehmen kann.) Aber ist es für eine Demokratie nicht eher förderlich, wenn sich eine Arbeitsweise an der Sache orientiert und nicht durch Ideologie verblendet wird? Ist es nicht wünschenswert, dass sich Repräsentanten durch sachliche Politik profilieren als durch populistisches Geschrei und Getöne? Man denke nur an den Herrn Machnig (Westimport aus der Schröder-Ära) in Thüringen. In seinem bisherigen Wirken als Wirtschaftsminister wenig Zählbares erreicht, krakelt er im Kampf um die innerparteiliche Macht bei den Thüringer Sozialdemokraten umso lauter. Und: scheint damit tatsächlich langfristig Herrn Mathschie den Rang abzulaufen. Insofern scheint die These des Autprs ja durchaus zuzutreffen. Aber wenn das erstrbeneswert sein soll? Naja. Dann doch lieber so langweilige Sachverwalter wie Lieberknecht oder Platzeck.

  • N
    Neu

    Der auffälligste Politiker aus den Neuen Bundesländern ist Herr Zastrow(FDP).

  • H
    Hinweis

    Hallo taz-Redaktion. Auf dem Bild zum Artikel fehlt der Minsiterpräsident von Sachsen-Anhalt. Sind also gar nicht alle Ost-Regierungschefs drauf. ;)

     

     

     

    Der weißhaarige Herr in der zweiten Reihe ist nur irgendein Staatssekretär (Kultus? Medienförderung?) aus Magdeburg. Gruß.

  • Und Platzeck war schrill oder wie?

  • S
    Spreewald

    Das ist ja wirklich laecherlich, Platzeck als irgendwas mehr als totlangweiligen Salbader hinzustellen. Das ganze Land ist tot und er ist daran deutlich mit schuld. Die letzte Erfrischung war Schoenbohm, auch wenn man ihn nicht moegen muss. Das hoechste der Gefuehle ist Coca-Cola gegen Rechts und sie merken nicht einmal, was daran falsch ist. Etwas mehr geistiges Niveau waere normalerweise zu erwarten. Platzecks Glueck war allenfalls, dass sich niemand fuer Brandenburg wirklich interessiert.

  • T
    Thorsten

    Selten so einen Schwachsinn gelesen. Ost-Politiker_innen schaffen es von Zeit zu Zeit sehr wohl in die Bundespolitik. Angela Merkel und Gregor Gysi darf man hier ausnahmsweise mal in einem Atemzug nennen.

     

    Und zumindest in Sachsen besteht die ruhige Konsenspolitik darin, dass die schwarz-gelbe Dauerregierung einfach jegliche Einwände seitens der Zivilgesellschaft und der Opposition ignoriert und einfach rücksichtslos durchregiert.

     

    Wenn es eine Ruhe in der ostdeutschen Politik gibt, dann ist das zumeist wohl eher Resignation. Und selbst die vermeintlichen Konsens-Lösungen sind viel einfacher unter Druck von außen zu finden. Und Druck von außen gibt es für die neuen Länder ja nun wirklich mehr als genug.

     

    Übrigens sind nach wie vor viele Politiker_innen und sonstige Würdenträger_innen in den neuen Ländern solche, die nach der Wende aus dem Westen kamen und von den großen Parteien in den Osten abgeschoben wurden.

  • B
    Buldozzer

    "Ohne Matthias Platzeck wird die Politik in den Neuen Bundesländern nun von unauffälligen Verwaltern geprägt."

     

     

     

    So, so...

     

     

     

    Dieser Platzek zählte wohl zu den Unfähigsten!!!

     

     

     

    Siehe Cargolifter, BER (Berliner Flughafen), etc., etc...

     

     

     

    Sozen, Rote und Giftgrüne können eben nicht wirtschaften!!!

    • RR
      Rudi Ratlos
      @Buldozzer:

      Also etwas Bulldozermäßig gehen sie aber schon vor. Woher Sie den Cargolifter ausgraben - eine Pleite gegangene AG eines Wessis(!) mit phantastischen Träumen (von Gablenz) der Landesregierung anzuhängen scheint wohl mehr ideologisch begründet als sachlich.

      Ansonsten den Artikel betreffend erinnert mich die Beschreibung tatsächlich an die Verhältnisse in einem Ausschuß dem ich angehöre in meinem Landkreis. Keinerlei Aufregung, Orientierung an Sachfragen, oft genug einstimmige Empfehlungen zur Abstimmung im Kreistag.

  • R
    reblek

    "Ohne Matthias Platzeck wird die Politik in den Neuen Bundesländern nun von unauffälligen Verwaltern geprägt. Die mögen keine schrillen Debatten." - Hui, der Herr Platzeck - was Polnisch ist und "Kartoffelpuffer" heißt - hat bekanntlich richtig tolle Debatten vom Zaun gebrochen. Zum Beispiel zum Berliner Flughafen-Neubau, nicht wahr?

     

    "Den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung feierten die Ostregierungschef gemeinsam mit Klaus Wowereit" - Aha, "die Ostregierungschef" sind nur einer, wie?