piwik no script img

Osman Engin Die CoronachronikenDas neue Coronamodell

Foto: privat

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Es sind gefühlt 50 Grad in Istanbul. Und die Inzidenzzahl ist gefühlt über eine Million im Schatten. Niemand traut sich raus oder gibt einen Ton von sich. Weder ich noch meine Frau.

Kein Mensch hat was Neues zu sagen. Nicht mal der Fernseher! Dass der Westen dieses Virus in die Welt gesetzt hat, um Erdoğan zu schaden, das wissen wir ja bereits. Seit langem haben wir die Chinesen und deren Fledermäuse umsonst beschuldigt.

Da höre ich plötzlich eine fremde, piepsige Stimme:

„Na, Osman, wie geht’s dir?“, quiekt sie selbstgefällig.

„Hä?“, murmele ich völlig träge. Und bin gleich wegen meiner Schlagfertigkeit völlig aus dem Häuschen! Das heißt, dass mein Blut immer noch einigermaßen zirkuliert! Dass meine inneren Organe immer noch irgendwie funktionieren! Dass mein Gehirn immer noch etwas Sauerstoff bekommt! Dass ich immer noch nicht völlig durchdrehe!

Um ganz sicher zu gehen, dass ich tatsächlich noch lebe, stelle ich der piepsigen Stimme eine lange Frage zurück.

„Wie geht’s dir denn so?“

„Wie kann es einem denn schon gehen, wenn man mehrere Millionen Menschen getötet hat?“, antwortet die Stimme reichlich eingebildet.

„Ein blöder Massenmörder aus der Geschichte bist du also“, sage ich vorwurfsvoll und bin mir meiner geistigen Gesundheit plötzlich doch nicht ganz sicher. Ein Massenmörder aus der Geschichte, der noch lebt?

„Nein, ich bin kein blöder Massenmörder aus der Geschichte! Ich bin topaktuell! Hast du mich etwa immer noch nicht erkannt? Ich bin’s, Covid-20! Das neue Update von Covid-19. Das brandneue Coronamodell aus China, vor dem ihr alle höllische Angst habt“, ruft die Stimme stolz.

„Quatsch! Das bist du nicht. Ich habe viele Fotos von dem Virus gesehen. Das sieht aus wie eine Handgranate mit Kratern. Du aber siehst aus wie ein dämlicher Halloween-Kürbis.“

„Ich bin mutiert und habe dieses Aussehen angenommen. All eure ach so tollen Impfstoffe könnt ihr jetzt in die Tonne treten. Die jucken mich nicht mal“, lacht die Stimme hämisch.

„Wenn du dir dein Aussehen selber aussuchen kannst, warum siehst du dann wie ein ausgehöhlter Kürbis aus und nicht wie Brad Pitt?“, lache ich ironisch.

Plötzlich desinfiziert meine Frau mit einem großen Lappen wieder einmal unseren Esstisch. Heute bereits zum 6. Mal.

„Eminanim, du hast etwas getötet“, sage ich.

„Was denn?“, murmelt sie total abwesend.

„Das brandneue Coronamodell aus China.“

„Kommt Corolla nicht aus Japan?“

„Nicht Toyota Corolla. Das neue Coronavirus aus China hast du getötet, mit dem ich mich die ganze Zeit unterhalten habe.“

„Ach, hör auf. Du kannst doch gar kein Chinesisch.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen