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Osman Engin Alles getürktDer supergünstige Abschiebeflug

Meine Frau Eminanim will dieses Jahr Silvester unbedingt in der Türkei feiern und schleppt mich deshalb in Recais Reisebüro. Um uns schnell abzufertigen, jagt Recai uns seine Fragen wie Maschinengewehrkugeln um die Ohren. Stakkatoartig. Tak tak tak. Schon bei der Begrüßung rattert er los, was das Zeug hält.

Recai: „Wie geht’s euch denn so? Gut? Mittelmäßig? Schlecht?“/ Eminanim: „Gut.“ / Ich: „Schlecht.“ / Recai: „Wohin wollt Ihr denn? Deutschland? Türkei? Woanders?“ / Eminanim: „Türkei.“ / Ich: „Ich auch.“ / Recai: ­„Hotel? Pension? Apartment?“ / Eminanim: „Hotel.“ / Ich: „Egal.“ / Recai: „Voll-inklusiv? Halb-inklusiv? Null-inklusiv?“ / Eminanim: „Voll!“ Ich: „Null!“ / Recai: „Zimmer mit Meerblick? Stadtblick? Mülleimerblick?“ / Eminanim: „Meer.“ / Ich: „Mülleimer.“ / Recai: „Fünf Sterne? Vier? Drei? Zwei?“ / Eminanim: „Fünf.“

Ich: „Null. Und auch kein Hotel! Bei meinem Onkel Ömer im Dorf dürfen wir immer umsonst übernachten. Und wenn ich dort im Garten sitze, sehe ich genug Sterne am Himmel.“

Meine Frau kennt mich gut und zischt: ­„Osman, du bist wirklich unmöglich!“

Recai kennt mich besser und stöhnt: „Also gut, dann eben nur der Flug.“

„Endlich mal ein Verkäufer, der mitdenkt“, lobe ich ihn. / „Istanbul hin und zurück, 540 Euro, Izmir 570 Euro …“ / „Halt, halt, es ist immer noch sauteuer“, stoppe ich ihn. / „Um Neujahr herum ist immer teuer“, sagt er genervt.

„Eminanim, am besten verbringen wir unseren Urlaub dieses Jahr in Delmenhorst. Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?“, schlage ich vor.

Foto: privat

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv). Osman Engin steht für Lesungen zur Verfügung

„Recai, hilf mir doch! Sonst flüchte ich sofort von hier“, jammert meine Frau.

„Apropos flüchten. Da habe ich eine viel bessere Idee für so einen Geizkragen wie Osman“, meint Recai. „Am Samstag werden mit der 12-Uhr-Maschine 20 Flüchtlinge nach Addis Abeba abgeschoben. Mit einem Zwischenstopp in Istanbul. Das weiß ich genau, weil ich die Tickets verkauft habe. Erfahrungsgemäß hauen jedes Mal fünf Flüchtlinge spätestens im Flughafen ab. Osman, wenn du dich also um diese Zeit am Flughafen etwas verdächtig verhältst …“

„Tolle Idee! Was muss ich tun?“, jubele ich.

„So tun, als wenn du um dein Leben rennst. Sofort werdet Ihr von mehreren Polizisten mit Schlagstöcken höflich ins Flugzeug gebeten und mit Handschellen gegen eventuelle Turbulenzen in Sicherheit gebracht und schnell weggeflogen. Völlig umsonst. In Istanbul könnt Ihr dann aussteigen.“

„Recai, bist du wahnsinnig? Osman ist verrückt! Der macht das wirklich“, kreischt Eminanim.

„Klar, ist doch super Angebot. Danke, Recai.“

„Apropos flüchten. Da habe ich eine bessere Idee für so einen Geizkragen wie Osman“

„Und wie kommen wir dann wieder zurück?“, fragt meine Frau.

„Keine Sorge, Eminanim. Die Tickets für den Rückflug nach Deutschland kaufen wir ganz normal. Der Halsabschneider Recai ist hoffentlich etwas günstiger als die ganzen ­Schlepperbanden.“

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