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Osman Engin Alles getürktDie Vorteile des Älterwerdens

überhaupt nicht nachvollziehen kann ich, weshalb sich alle Welt über das Älterwerden beschwert. Einige schreiben sogar dicke Bücher darüber, mit solchen Titeln wie: „Älterwerden ist ganz schlimm!“

Beim Schreiben werden sie aber wieder ein paar Tage älter, und schreiben danach neue Bücher: „Älterwerden ist wirklich ganz schlimm!“ Und danach: „Älterwerden ist sehr, sehr schlimm, ich schwör’s!“

Ich wiederum sehe nur Vorteile darin! Viele, viele Vorteile. Wenn meine Frau Eminanim zum Beispiel sagt, ich soll wieder den Müll rausbringen, kann ich inzwischen entweder den Schwerhörigen spielen und sagen: „Wie bitte, hast du was gesagt?“ Oder sehr glaubhaft stöhnen: „Ich würde ja gern, mein Engel. Aber ich schaffe das beim besten Willen nicht! Du weißt doch, diese Bandscheibe! Ich habe schreckliche Rückenschmerzen!“

Oder wenn sie mich wieder beim Fußballgucken stört: „Osman, lauf mal schnell zum Supermarkt und kauf zwei Kilo Rindergehacktes.“

Jetzt kann ich darauf ruhigen Gewissens erwidern: „Eminanim, du verwechselst mich wohl mit den jungen Fußballern dort in der Kiste. Ich kann doch nicht mal vom Sofa aufstehen! Mein Rheuma bringt mich um! Ich habe höllische Knieschmerzen!“

Oder wenn sie mich wie jetzt mit Extra-Aufträgen zur Arbeit verabschiedet: „Osman, vergiss nicht, die Gardinen von der Reinigung abzuholen, wenn du nach Hause kommst.“

„Eminanim, wie soll ich mich denn nach acht Stunden harter Arbeit noch daran erinnern? Ich weiß dann nicht mal mehr, wie ich heiße. Ich habe Alzheimer im Endstadium. Hol’du sie lieber ab, bevor ich es vergesse.“

„Gib mir doch mal dein Handy. Ich werde es so einstellen, dass es dich gleich nach der Arbeit daran erinnert.“

Foto: privat

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter www.youtube.com/@osmanengin1916. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

„Gute Idee. Aber du weißt doch, dass ich bei meinem schrecklichen Alzheimer mein Handy ständig irgendwo liegen lasse.“

„Das stimmt. Und zwar immer zufällig an den Tagen, an denen ich dich telefonisch an irgendetwas erinnern muss. Also gut, ich rufe jetzt deinen Arbeitskollegen Hans an, damit er dich daran erinnert.“

„Hans? Wer zum Teufel ist denn Hans?“, tue ich überrascht.

„Das hier ist Hans“, brüllt Eminanim plötzlich außer sich und knallt mir mit dem Kochlöffel eins über den Kopf. „So, Osman. Diese Schmerzen werden dich jetzt daran erinnern, dass du die Wäsche abholen musst!“

In dem Moment kommt mein Sohn Mehmet herein. Ich schnappe mir sofort den dicken Kochlöffel von Eminanim und ziehe damit Mehmet eins über den Schädel.

Nach acht Stunden harter Arbeit weiß ich nicht mal mehr, wie ich heiße

„So, Mehmet, diese dicke Beule wird dich daran erinnern, dass du heute Mittag unsere Wäsche von der Wäscherei abholen musst!“

„Also gut, Familie“, gibt Eminanim schließlich auf. „Bevor wir uns jetzt hier gegenseitig alle umbringen, lassen wir die Gardinen lieber dort, wo sie sind. Stattdessen gehen wir am Samstag in die Stadt und kaufen neue.“

„Mal gucken“, knurre ich, „wenn ich’s nicht vergesse!“

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