Ortstermin: Eva Przybyla beim Filmabend im „Unterhalb“: Es lebe der Videoabend!
CineastInnen lieben insgeheim die Sneak Preview. Auch wenn sie sich als anspruchsvolle FilmkennerInnen inszenieren, die ganz autonom über ihren gehobenen Filmkonsum bestimmen, so freuen sie sich doch, wenn sie einem unangekündigten Streifen ausgesetzt sind. Statt das öde Pasolini-Frühwerk oder zum hundertsten Mal David Lynchs „Eraserhead“ zu sehen, sollte man mit Cinephilen in Überraschungsfilme gehen. So wie in der neuen Bremer Bar „Unterhalb“.
Pünktlich um 21 Uhr wird zugesperrt und wirklich erst dann der Film bekanntgegeben – überwiegend deutsche Produktionen, heißt es. Diese Woche: „Als wir träumten“ von Andreas Dresen. Im tristen Leipzig nach der Wende vertreiben sich vier Jugendliche die Zeit mit Fusel und Zerstörung. Die einzige Hoffnung: ihr selbst gegründeter Club „Eastside“ in einer besprühten Betonruine, an die man sich auch im „Unterhalb“ ein wenig erinnert fühlt.
Der von einem Kollektiv gegründete private Veranstaltungsort ist so einer, wie man ihn sonst in Berlin findet: Unaufdringlich, ohne schwarz-rote politische Poster und ohne hippieske Abenteuerspielplatzeinrichtung. Stattdessen ein klarer Ladenraum mit hohen Decken und großen Schaufenstern, bei dem man an diese tapetenlosen, roh verputzten Wände Neuköllner Bars denkt. Irgendwie Mainstream. Aber eben auch sehr gemütlich: Wahrscheinlich, weil alte, geblümte Sessel und gelbe Wohnzimmerleuchten herumstehen. Man kann im „Unterhalb“ einfach HedonistIn sein: ästhetisch und musikalisch immer auf der sicheren – aber leider auch profillosen Seite.
Gerade im Winter ist es im „Unterhalb“ kuschelig. Es liegt etwas abgelegen an der Hochstraße im Bahnhofsviertel in einem alten Gewerbegebäude. So trostlos und kalt die Umgebung, so warm ist es drinnen. 60 Leute finden auf den Sesseln Platz. Der Beamer wirft ein hochauflösendes Bild an die Wand, der Sound kommt aus Clubboxen und ist für Nicht-Kinoverhältnisse mächtig.
Und nach dem Film kann man ohne Scham das Gesehene verreißen – man hat es ja nicht selbst ausgesucht. Außerdem lädt die Überraschung dazu ein, die alten Sehgewohnheiten aufzubrechen. Auf sich und sein Wissen zurückgeworfen ist das Publikum gefragt, selbst Sinnverknüpfungen herzustellen. Der gemütliche Cineast wird aktiviert. Mit Roland Barthes hieße das wohl: Der Autor ist tot! Es lebe der Videoabend! Oder so.
Für die Stärkung des beanspruchten Publikums hat das Kollektiv liebevoll gesorgt: Limo, Bier und so weiter. Longdrink-Empfehlung: Haselnusslikör mit Milch. Fruchtgummis und Chupa Chups gibt’s auch.
Wer dann nach dem Film doch keine Lust mehr hat, mit seiner Begleitung über den Film zu streiten, trinkt halt weiter. Oder kickert im geräumigen Keller, raucht oder zockt an der Retro-Konsole. Nett ist das.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen