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Orientierungslose KonservativeMerkel stellt Koch-Buch vor

Was ist heute konservativ? Da sind sogar Spitzenpolitiker der Union unsicher. Hessens Ex-Ministerpräsident Roland Koch versucht sich an einer Antwort - und einem Buch.

Händchen halten mit der Ex-Chefin: Angela Merkel (rechts) assistierte Roland Koch bei der Vorstellung seines neuen Buchs. Bild: dpa

BERLIN taz | Roland Koch hat ein Buch geschrieben mit dem schlichten Titel: "Konservativ". Das erweckt den Eindruck, als würde sich die Sache nun von selbst verstehen. So ist es nicht. Was konservativ ist, ähnelt einem Stück Seife in der Wanne: Eigentlich müsste es da sein, aber man kriegt es nicht zu fassen. Vielleicht dauert die Buchvorstellung im fensterlosen Raum eines Kulturkaufhauses in Berlin-Mitte am Montagmorgen auch deshalb ziemlich lange. Es gibt Gesprächsbedarf.

Angela Merkel hat Zeit mitgebracht. Sie stellt das 200 Seiten starke Buch vor - und das ist wörtlich zu verstehen. Kapitel für Kapitel, von der Familien- über die Umweltpolitik bis zur Religion. Will sagen: Die Kanzlerin hat es wirklich gelesen. Merkel und Koch sind auch betont nett zueinander. Koch lobt die "liebe Angela" und erklärt die Formel von der "Sozialdemokratisierung der Union", mit der Rechte Merkel ärgern, für Unfug. Und er versichert, dass er nie mehr in die Politik zurückkehren will.

Das Konservative in der Union ist irgendwie ein Problem. Die Konservativen in der Union, sagt die CDU-Vorsitzende, können "sich schlecht artikulieren". Sie zitiert einen Satz aus Kochs Buch, der ihr offenbar sehr gefällt: "Die Konservativen sind nicht heimat-, aber planlos." Im Klartext: Sie sind in der Union zu Hause, aber was sie wollen, das wissen sie noch nicht mal selbst so recht.

Roland Koch will diesen Mangel an intellektuellem Fundament beheben. Man muss Koch wirklich nicht mögen - aber er ist ein analytischer Kopf und ein eloquenter Redner. Das Buch ist ziemlich klar und schnörkellos geschrieben. Wer sich gelegentlich durch stilblütenverzierte Werke von Expolitikern arbeitet, weiß das zu schätzen.

Der Konservativismus, so Koch, war schon in seiner Geburtsstunde nach der Französischen Revolution eingeklemmt zwischen Revolution und Reaktion. Man war gegen den unbedingten Fortschrittsglauben, aber für das morsche Feudalsystem wollte man auch nicht sein. So war das Konservative schon immer äußerst dehnbar, mal für und mal gegen die Nation, die Demokratie, die Moderne, den Pluralismus. Der Konservative, sagt Koch, will nicht herrschen oder dominieren, sein Ziel ist es, die Gesellschaft in der Balance zu halten. Das klingt freundlich, zurückhaltend, klug. So ganz passen solche Gesten der Bescheidenheit nicht zu Koch, Expolitiker, der habituell noch ganz forscher Machtmensch ist.

Kochs Trick, um das Konservative als aufregendes Thema zu inszenieren, ist einfach, aber wirksam. Man führt sich als Opfer des ignoranten Mainstreams auf. In Deutschland sei es "besonders schwer zu sagen: Ich bin konservativ". Ja, sogar er selbst, der große Roland Koch, nenne sich selbst nur vorsichtig einen "konservativen Reformer", weil ansonsten offenbar die Verbannung ins geistige Exil oder in die Junge Freiheit droht. Dass die Konservativen ausgerechnet die "linke" Methode imitieren, sich als ausgegrenzte Minderheit zu präsentieren, hat etwas Putziges.

Wer das Buch nach skandalisierbaren Stellen durchforstet, findet nicht viel. Familie, schreibt Koch, ist da, wo Kinder sind. Das Ehegattensplitting will er in ein Familiensplitting verwandeln. Das ist beides vernünftig, aber nicht unbedingt konservativ. Das Adoptionsrecht für Homosexuelle lehnt Koch ab. Das mag konservativ sein, aber es ist nicht vernünftig.

Der wahre Konservative, sagt Koch, weiß, dass das Unvollkommene zum Menschen gehört. So ist es. Aber ein so verdünnter Konservativismus ist vom Pragmatischen kaum zu unterscheiden. Kein Wunder, dass sich der Exministerpräsident leicht wehmütig an die Kampfzeit erinnert, als er die Junge Union in Eschborn gründete und es mit einer übermächtigen Volksfront aus Jusos und SDAJ zu tun hatte. Die Widersacher und die Fronten waren damals klarer.

Die Linke verzettelte sich früher in endlosen Debatten darüber, was nach dem Verschwinden von Arbeiterklasse und Fortschrittsglauben noch links sei. Bei den Konservativen ist die Sache ähnlich, nur schwieriger. Dieses Fass scheint gar keinen Boden zu haben.

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9 Kommentare

 / 
  • J
    jps-mm

    Machterhalt um jeden Preis

     

    Die beiden FR-Autoren Matthias Thieme und Pitt von Bebenburg präsentieren „Ausgekocht“ – ein Buch über die Skandale in der hessischen Landesregierung .

     

    Warum eigentlich „System Koch“? Es ist, so schreiben es FR-Landtagskorrespondent Pitt von Bebenburg und FR-Reporter Matthias Thieme, der „bandenhafte Zusammenhalt eines Männerbundes“. „Persönliche Freundschaft“, sagt von Bebenburg, „überlagert dort alles, da lässt einer den anderen nicht fallen – egal was passiert.“

     

    Dieses Männerbündlerische, gepaart mit einer Skrupellosigkeit, die dem Machterhalt fast alles unterzuordnen bereit sei, habe es möglich gemacht, dass sich in der rund elf Jahre währenden Regierungszeit des CDU-Politikers Roland Koch Skandale aufeinanderlagern wie Sedimentschichten. Ohne dass dies ernsthafte juristische oder politische Konsequenzen für die Beteiligten gehabt hätte – „und es selbst für Journalisten nur schwer möglich ist, alle diese Skandale zu überschauen.“ Skandale, in denen immer wieder die Namen der Koch-Freunde Karlheinz Weimar, Volker Bouffier, Volker Hoff und Christean Wagner auftauchen.

     

    „Ausgekocht – Hinter den Kulissen hessischer Machtpolitik“ listet sie auf, die Skandale. Dazu gehört der Fall der mit Hilfe falscher Gutachten geschassten Frankfurter Steuerfahnder ebenso wie Kochs Absegnung des Finanzdesaster Fraports in Manila, wo der Flughafenbetreiber unter seinem Aufsichtsratsvorsitz beim Bau eines Terminals eine halbe Milliarde Euro versenkte. „Es gibt einen ganzen Schwung solcher Geschichten“, sagt Thieme. Detailgenau gehen die Autoren den Verflechtungen zwischen der Landesregierung und hochgestellten Amtsträgern in Justiz und Verwaltung nach. Thieme sagte, dass "es – wie am Beispiel der Steuerfahnder zu sehen – ein System gebe, „das Menschen auf kalte, maschinelle und nicht weniger grausame Weise kaltzustellen sucht“, so Thieme.

     

    Die vorgetragenen Passagen aus dem Werk, das stellenweise realsatirische Züge trägt, rufen bei den Zuhören immer wieder bittere Lacher hervor. Und nähren, wie in der sich anschließenden Diskussion deutlich wird, die Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz und am Funktionieren des Rechtsstaates. Zweifel, die die beiden Autoren durchaus teilen.

     

    http://www.fr-online.de/politik/machterhalt-um-jeden-preis/-/1472596/4712962/-/index.html

  • M
    MischMaschMensch

    @atypixx

     

    ²gegen völlige ethnische Durchmischung der Gesellschaft"

     

    was bitte, verstehst du darunter? und was ist daran problematisch?

     

    bin aufrichtig interessiert!

  • MD
    maria Daubenbüchel

    so wäscht denn eine hand die andere.

    übrigens wäre es vielleicht gut das wort konservativ einmal analysieren,

    konservativ im sinne vom bewahren von werten ist sicher anders,als

    konservativ im kochchen sinne.lügen,vetternwirschaft zum machterhalt

    gehören meiner meinung nicht dazu

  • EH
    En Hess

    @Toni Silista

    Stimmt, er war das Vorbild der Schlechten. Der König der Populisten und Hetzer.

  • A
    alcibiades

    Was macht eigentlich unsere oberste Angestellte bei Buchvorstellungen? Ich hoffe, das hat sie in ihrer Freizeit gemacht. Sonst müssen wir das leider von Ihren Raucherpausen abziehen, Frau Merkel.

  • TS
    Toni Silista

    Roland Koch war kein Schlechter!

  • A
    atypixx

    Wer heute konservative Thesen vertritt, wird in Stücke gerissen; wage es mal einer, gegen völlige ethnische Durchmischung der Gesellschaft, gegen die Beliebigkeit des Sexuellen, für Heimatgefühl auch nach der WM, für eine Sozialbezogenheit des Individuums ... die Stimme zu erheben, ist er nicht nur für die taz ein Feindbild. Da wird ganz schnell die Adolf-Keule ausgepackt, die man in irgendeinem suggestiv hervorgekitzelten Nebensatz unter dem Mikroskop früher oder später findet, wenn man danach sucht. Kein Wunder, dass Merkel einen Beliebigkeitskurs fährt. Aber auch kein Wunder, wenn es dann Potential für eine Partei rechts von der CDU gibt (und damit meine ich gewiss nicht den Sauhaufen von der NPD).

  • HB
    Hans Becker

    Merkel avanciert zur Buchkritikerin No.1 der Republik. Bekommt die Prozente? Prämien?

     

    Irgendwie lächerlich das ganze.

  • T
    Tomáš

    Was ist konservativ? Spontan fällt mir ein gegen Stuttgart 21 zu sein. Lieber den altbewährten Bahnhof halten anstatt für den Fortschritt zu sein.