Orientalist Tigran Petrosyan: „Es ist Angst in diesen Texten“
In Bremen stellt Tigran Petrosyan das kollektive Tagebuch „Krieg und Frieden“ vor. Es hält Hoffnungen und schmerzhafte Erlebnisse fest.
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taz: Wie viel Frieden steckt in dem Buch, Tigran Petrosyan?
Tigran Petrosyan: Tatsächlich war der Ausbruch des Kriegs Anlass für die Reihe. Aber Frieden kommt vor, etwa als Erinnerung der Autor*innen oder in den Erzählungen ihrer Großeltern, wie sie das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hatten. Außerdem steckt Frieden als eine Hoffnung in den Texten.
„Seit hundert Tagen glaube ich an Wunder“, schreibt Tatjana Milimiko Anfang Juni …
Ja, es gibt diese Träume, die Ideen von der Zukunft der eigenen Kinder. Aber um an den Frieden zu denken, muss man erst einmal über den Krieg sprechen. Und das ist schwierig genug.
Warum?
Wir haben russische, ukrainische und belarussische Autor*innen, manche leben im Exil im Baltikum. Es sind auch Journalist*innen aus Armenien, Kirgistan, Moldau und Georgien dabei. Die haben unterschiedliche Perspektiven auf den Krieg. Es ist nicht selbstverständlich, dass sie gemeinsam eine Möglichkeit finden, darüber zu schreiben.
Warum war es wichtig, auch Journalist*innen aus Ländern zu Wort kommen zu lassen, die keine Kriegspartei sind?
Weil der Krieg dort unmittelbare Auswirkungen hat: Für die Länder, die früher Teil der Sowjetunion gewesen waren, spielt Russland eine wichtige Rolle, entweder, weil es als ständige Bedrohung präsent ist, oder aber, weil sie sich auf unterschiedliche Weise mit ihm verbunden haben, beispielsweise über die Währung: Wenn der Rubel fällt, hat das direkte Auswirkungen auf Armenien. Auch ist es so, dass viele eingefrorene Konflikte dieser postsowjetischen Staaten infolge des Kriegs aufbrechen, etwa an der Grenze von Kirgistan und Tadschikistan. Da hatte Russland immer ein Interesse gehabt, das zu regeln und die Spannungen auszugleichen. Das fällt jetzt weg, und der bilaterale Konflikt eskaliert. Das alles hängt unmittelbar mit dem Ukraine-Krieg zusammen.
Die Texte sind dabei keine Frontberichterstattung: Ist das eine bewusste Setzung?
Buchvorstellung: Do., 24. 11., Lagerhaus, Bremen, 19 Uhr; „Krieg und Frieden. Ein Tagebuch“, Edition Fototapeta, 144 S., 10 Euro
Wir sparen das unmittelbare Kriegsgeschehen nicht aus, wenn das gemeint sein sollte. Im Buch sind durchaus harte Szenen drin, etwa von Borodjanka, wo Anastasia Magasowa beobachtet hat, wie die Leichen aus den zerbombten Hochhäusern geborgen wurden, andere Stellen handeln direkt von einem Raketeneinschlag …
… klar, aber das Projekt der taz Panter Stiftung nennt sich ja doch ein kollektives Tagebuch. Und entsprechend geht es auch weniger um die Sensation des Ereignisses, als um das persönliche Erleben, oder?
Stimmt. Es ging uns um Kolumnen, um subjektive Stücke, die auch zeigen, was der Krieg mit dem Einzelnen macht. Journalisten sind ja keine Roboter. Und natürlich wirkt es sich auch auf ihre Arbeit aus, wenn sie, wie im eigenen Land fliehen müssen aus Donezk oder von der Krim. Oder wenn sie, wie in Belarus, beim Schreiben eigentlich immer Angst haben müssen, abgeholt und weggesperrt zu werden. Es ist viel Angst in diesen Texten.
Wie wurden die Buch-Beiträge ausgewählt?
Das ist keine Auswahl: Es sind alle Beiträge der Reihe, die von März bis August veröffentlicht worden sind. Die Idee war die einer Dokumentation. Tatsächlich hat sich dabei gezeigt, dass die Texte gerade durch ihre subjektive Herangehensweise gültig bleiben: Die Frontverläufe, der Krieg, das ändert sich sehr schnell. Die Fragen, wie wir weiterleben können im Krieg und nach dem Krieg, die sind etwas anderes als das Tagesgeschehen. Die bleiben aktuell.
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