piwik no script img

Ordnung, Aufklärung, Knallig-Rotes

Kunstwerke als Akkupunkturnadeln, die Kamera als Meißel: Der Bildhauer Lutz Fritsch sprengt die Grenzen seines Faches und schafft damit „Raumkunst“. Jetzt hat er in der Weserburg „interveniert“

„Ich bin ein Bildhauer, der die Bilder nicht haut – sondern der im Raum arbeitet.“ So spricht Lutz Fritsch, zurzeit in der Neuen Weserburg präsent, ein Vertreter der Interventionskunst. Der entsprechende Anspruch: „Ich will den Nerv vor Ort treffen.“ Also der Frage nachgehen: „Was passiert wo warum?“

Wie ein Akkupunkteur seine Nadeln setzt Fritsch seine hell leuchtenden minimalistischen Skulpturen in den öffentlichen Raum, immer auf der Suche nach dessen „Befindlichkeit“. Mit dieser Methode hat der Kölner bereits unübersehbare Landmarken geschaffen, zum Beispiel das eindrucksvolle „Rheinorange“ an der Ruhrmündung bei Duisburg (25x7x1 Meter). Und was Wunsch blieb, hat er in Postkarten eingemalt: Eine riesige rote Stele über dem „Deutschen Eck“ in Koblenz, eine auf dem Pariser Arc de Triomphe balancierende Horizontale oder ein himmelsstürmender blauer Mast inmitten des hiesigen Hansa-Kreuzes auf dem Marktplatz (Titel der Reihe: „Postkarten lügen nicht“).

1993 hatte er in Bremen auch de facto etwas aufgestellt: Einen schlichten Fünfmeterfünfzigpfosten in Gelb auf dem Teerhof, ehemals an der Schlachte beheimatet. Aber der hatte es in sich. Er verband Bremen nämlich mit dem Rest der Welt, insbesondere mit den Weltmeeren und inklusive der eisbedeckten Polkappen.

Wie das? Das Prinzip der „Setzung aufeinander bezogener Zeichen“ machte die suprakontinentale Skulptur möglich. Eine zweite Stange (drei gelbe Meter) thronte nämlich über dem Bug der „Polarstern“, dem Expeditionsschiff des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts. Mit ihr zog die Skulptur ihre Kreise. Fritsch: „Ich hörte von den Klagen, Bremen sei durch die Hafenschließungen immer stärker von den Meeren abgeschnitten – darauf wollte ich reagieren.“

In der Weserburg hat sich Fritsch zumeist auf Kleinformatigeres beschränkt – auf blau oder rot lackierte Aluminiumgeraden und -rahmen. Das labyrinthische Innere der Weserburg mit den winkligen Durchgängen bildet für Fritsch eine Basis für Raumeingriffe („ich liebe den rechten Winkel“) – vor allem in den Sammlungen Onnasch, Lafrenz/Reinking und Böckmann.

Den Raum mit Mario Merz‘ Schwefeltischschnecke zum Beispiel hat Fritsch mit filigranen roten Senkrechten bestückt. In ihrem Parallelismus setzen sie den Raumakzent des seitlich positionierten Feuerlöschers fort, umrunden den Raum um schließlich wieder die Tür in Richtung von Horst Hellingers Steininstallation zu erreichen.

Eine etwas massivere „Intervention“ sind die beiden rot und gelb lackierten Quadratflächen (1,80 x 1,80 Meter), die Fritsch in das von Hans Ottes „Bewegungsmelder“ gefüllte Obergeschoss gestellt hat. Sie bilden in der Tat einen „Kraft-Korridor“, der die gesamte Diagonale des Raumes ausfüllt. Letztendlich wirken aber auch sie wie provisorische Applikationen.

Die Bildhauerei, seine Ursprungsdisziplin, hat Fritsch auch in Bezug auf Architekturfotografie erweitert. Seine hier ausgestellten Aufnahmen („Über Augenhöhe“) suchen stets den Aufwärtsblick, hin zu den nur für Augen zu erreichenden Zonen. Wesentliches Werkzeug ist für Fritsch das Teleobjektiv, mit dem er Ausschnitte von Dachkanten und Traufen herausmeißelt.

Im hinteren Treppenhaus der Weserburg sind Fritsch‘sche Fotografien aus dem ewigen Eis zu entdecken. Denn: Der Künstler hat nicht nur seine Skulptur auf die Reise geschickt, sondern ist zweimal auch selbst mit der „Polarstern“ mitgefahren. Man stelle sich vor: Jemand mit dem Fritsch‘schen Maßstabsetzbedürfnis in einer Landschaft, die von jedem Punkt aus 40 Kilometer Rundblick bietet. Der Künstler experimentierte ausgiebig mit knallig-roten Platten und Stangen (die in diesem environment stark an Skipistenmarkierungen erinnern), denn: „Licht Reflexe Horizont ohne Orientierung kein Maß für Nähe und Ferne Chaos ...“, um es mit seiner eigenen Poesie auszudrücken. Die Weserburg jedenfalls ist um „Ordnendes und Aufklärendes“ reicher.

Henning Bleyl

„Das Eine und das Andere. Interventionen“ von Lutz Fritsch sind bis zum 18. August in der Weserburg zu sehen (Di-Fr 10 bis 18 Uhr, Sa und So 11 bis 18 Uhr).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen