: Orchester mit Knieschoner
Bandoneon und sonst nichts: Wem das langweilig erscheint, wurde von Altmeister Luis Di Matteo in der Oldenburger Kulturetage eines Besseren belehrt
Astor Piazzolla hat ihn einmal als „Uruguays wichtigsten Musiker“ bezeichnet: Luis Di Matteo. Am Freitagabend machte der 67-Jährige aus Montevideo in der Oldenburger Kulturetage Station – er, das rote Tuch, das die Knie schont, und sein Instrument: Bandoneon solo.
Wie aus dem Nichts beginnen Di Matteos Melodien, fast unmerklich fliegen seine Finger über die Knöpfe. In die Milonga mischen sich die rhythmischen Candombes der schwarzen Bevölkerung Uruguays, Traditionelles kommt mit Zeitgenössischem zusammen. Alles was er spielt, hat er selbst komponiert.
Seine Stücke sind majestätisch und schwer, tragend und laut. Oder genau das Gegenteil davon. Im Bandoneon, so heißt es, stecke ein ganzes Orchester. Di Matteo zaubert es hervor.
Unter seinen Fingern wird der Blasebalg zum Rhythmusinstrument. Wild jagen Staccati in 7-er- und 8-er-Gruppen einander. In einem fliehenden Tanz drehen sich die Töne wie übermütige Kinder, überholen sich, purzeln, stolpern und fangen sich wieder. Immer aber sind sie gehalten vom fließenden Klangteppich, den Di Matteo darunter legt.
Wer je nur ein Akkordeon in seinen Händen gehabt hat, weiß, wie schwer es ist, mit den metallenen Zungen eine Klangfarbe zu halten. Zwischen verstummendem Hauchen und lautem Quäken liegt nur ein winziges Bisschen mehr Druck oder Zug auf dem Balg. Di Matteo beherrscht die künstliche „Lunge“ seines Instruments so präzise wie ein Sänger seine eigene.
So kraftvoll und voluminös seine Lieder bisweilen sind, so weit der Meister sein Bandoneon ausreizt: Die unsichtbare Grenze, die bei Harmonikainstrumenten allzu leicht überschritten wird, der Punkt, an dem aus Volumen Krach wird und der Klang zerreißt, diese Grenze überschreitet er nicht.
Drei Zugaben musste Di Matteo geben, bevor er sein rotes Tuch auf den Knien zum letzten Mal zusammenfaltete. Es hätten mehr sein dürfen. sim
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