Opposition beklagt Bundeswehr-Aufklärung: "Wir empfinden das als Frechheit"
Linkspartei, SPD und Grüne sind erbost über das Vorgehen des Verteidigungsministers Guttenberg. Die Truppe werde verunsichert und Bauernopfer würden nicht zur Aufklärung beitragen.

KÖLN dapd | Das Vorgehen von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bei der Aufklärung der Bundeswehr-Affären stößt bei der Opposition auf herbe Kritik. Nach Ansicht des SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold schädigt der CSU-Politiker das Ansehen der Armee. Sein Auftrag, alle Teilstreitkräfte auf den Prüfstand zu stellen, erwecke den Eindruck, als ob es flächendeckend ein Problem in der Bundeswehr gebe, sagte Arnold. Es gehe aber um konkrete Einzelfälle.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte Guttenberg zur rückhaltlosen Aufklärung der Vorfälle auf und drohte ihm indirekt mit Konsequenzen. Linke-Chef Klaus Ernst hält auch eine parlamentarische Untersuchung für möglich. Der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour forderte den Minister auf, Verantwortung für die Zustände in seinem Haus zu übernehmen, statt abzulenken. Politiker von CDU und FDP stellten sich vor Guttenberg.
Hintergrund sind drei fast zeitgleich bekannt gewordene Vorfälle. Dabei handelt es sich um Meuterei-Vorwürfe nach dem Tod einer Offizieranwärterin auf dem Segelschulschiff "Gorch Fock", das Öffnen von Feldpostbriefen aus Afghanistan und neue Hinweise zum Tod eines Soldaten in Afghanistan. Als Konsequenz daraus hatte Guttenberg den Kapitän der "Gorch Fock" abgesetzt und eine Untersuchung bei allen Teilstreitkräften angeordnet. Für Mittwoch ist Guttenberg vor den Verteidigungsausschuss des Bundestages geladen.
Der SPD-Verteidigungspolitiker Lars Klingbeil vermisst bei Guttenberg eine klare Linie. "Erst Abwarten, jetzt Aktionismus. Das sorgt für Verunsicherung in der Truppe." Der Bundestagsabgeordnete fordert Guttenberg zu einer umfassenden Aufklärung auf. Sollte sich herausstellen, "dass der Minister die Parlamentarier und die Öffentlichkeit verspätet oder lückenhaft informiert, muss es Konsequenzen geben".
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Susanne Kastner, bezweifelt, dass eine Untersuchung bei den Teilstreitkräften viel bringt. Dem Generalinspekteur der Bundeswehr werde da eine schwierige Aufgabe "übergestülpt", sagte die SPD-Politikerin.
Der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour kritisierte die Abberufung des "Gorch-Fock"-Kapitäns. "Es ist nicht in Ordnung, den Kapitän abzuberufen, ohne dass er Gelegenheit hatte, sich zu den Vorwürfen zu äußern." Guttenberg solle "endlich Verantwortung übernehmen für die Zustände in seinem Haus, statt abzulenken".
Zuvor hatte bereits SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier Guttenberg zur rückhaltlosen Aufklärung aufgefordert. "Und am Ende, wenn die Verantwortung auch des Verteidigungsministers geklärt ist, wird über den Verteidigungsminister zu reden sein", sagte Steinmeier. Guttenberg habe noch Ende vergangener Woche die Opposition aufgefordert, sie möge sich zurückhalten. "Am Tag danach, nachdem eine große Boulevardzeitung ihn aufgefordert hat, den Kapitän der 'Gorch Fock' zu entlassen, folgt er dann diesem Schritt, ohne dass Aufklärung getan worden ist." Das verstehe die Bevölkerung nicht, sagte Steinmeier. "Und wir als Parlament empfinden es als Frechheit."
Linken-Chef Klaus Ernst sagte, von Guttenberg sei kein personelles Bauernopfer gefordert worden, sondern rückhaltlose Aufklärung. Sollten nicht sofort alle Fakten auf den Tisch kommen, dann müsse im Bundestag "ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob die Vorfälle in der Bundeswehr nicht eingehender untersucht werden müssen".
Rückendeckung erhielt der Verteidigungsminister unterdessen aus der Koalition. "Aus Fürsorgegründen ist es absolut richtig, den Kapitän aus der Schusslinie zu nehmen, bis alles aufgeklärt ist", sagte FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff. Von der Ankündigung der Generaluntersuchung der Truppe zeigte sich jedoch auch die FDP-Politkerin überrascht: "Wir müssen abwarten, was genau damit gemeint ist", sagte sie.
Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte, er könne "gar nicht erkennen, dass da irgendein Problem ist". Die Bundeswehr kläre die Vorfälle auf. "Die Staatsanwaltschaft ist auch schon tätig. Und der Bundesverteidigungsminister legt seinen Bericht vor." Dieser habe schnell gehandelt, als die Vorfälle bekannt wurden.
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