: Opfer wird zum Angeklagten
München (taz) - Seinen verletzten Arm trägt der 24jährige Nuri G. noch in der Schlinge. Vor einer Woche schoß ein türkischer Sicherheitsbeamter aus dem Münchner Generalkonsulat auf eine Demonstrantengruppe. Nuri G., der an der Spontandemonstration am 1. Mai teilnahm, wurde von einem Querschläger getroffen und verletzt. Inzwischen ist Nuri G. vom Opfer zum Angeklagten geworden. Die politische Polizei ermittelt gegen ihn und weitere Teilnehmer der Demonstration wegen „schwerem Landfriedensbruch“. „Es scheint mir so, daß hier mehr Energie aufgewandt wird, gegen die Teilnehmer zu ermitteln, als den Vorgang aufzuklären“, so der Münchner Anwalt Michael Reiß. Er befürchtet, daß die Ermittlungen wegen versuchten Totschlags durch die Mordkommission ergebnislos bleiben, während die politische Polizei jeden Teilnehmer der Spontandemo erfaßt. Die Arbeit der Mordkommission wird erschwert, da der Schütze Immunität genießt und eine Spurensicherung somit begrenzt ist. Deshalb konnte weder die Tatwaffe noch Munition sichergestellt werden. Lediglich auf dem Gelände um das Konsulat konnte die Polizei nach Munition suchen. Einziges Beweismittel ist somit der aus Nuri G.s Arm herausoperierte Munitionssplitter. Um die „absolute Informationsblockade“, so der Anwalt, vielleicht doch noch aufheben zu können, fordert er eine Überprüfung des Immunitätsstatus des Schützen durch das Auswärtige Amt. Im Falle eines Angestellten einer afrikanischen Botschaft, der wegen Rauschgifthandel vor Gericht stand, stellte sich nämlich heraus, daß sein Immunitätsstatus zu unrecht vergeben wurde. Er entsprach nicht den international anerkannten Regeln.
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